Monat: Februar 2017

Wer dem Koch nicht traut, lässt die Suppe stehen

Die Zuger lieferten die Milch, die Zürcher das Brot. Und während die Suppe kochte, vermittel­ten die neutralen Orte zwischen den Zürcher und Innerschweizer Truppen. Die Kappeler Milch­suppe verhinderte 1529 einen Bruderkrieg unter den Eidgenossen. Heute suchen wir den gut­ eidgenössischen Kompromiss zum Glück nicht mehr auf dem Schlachtfeld. Aber eine Milchsup­pe für alle braucht es immer noch, wenn die Interessen weit auseinanderliegen, wenn viel auf dem Spiel steht und wenn mit wenigen Ge­winnern und vielen Verlierern zu rechnen ist.

Viele Köche haben an der Suppe mitgekocht, die am letzten Sonntag als Unternehmenssteuer­reform III aufgetischt wurde. Das Volk hat sie zu­rück in die Küche geschickt. Jetzt wird viel über die Qualität der Kampagne gestritten. Aber es lag letztlich nicht am Aussehen der Menükarte und nicht an den Ser­vicequalitäten der Kellner, dass die Suppe nicht schmecken wollte. Die Brühe war trüb, da schwamm einiges drin, was der Bauer nicht kennt. Einige Stimmen warnten gar vor Un­verträglichkeit. Es ist verständlich, dass davon nur isst, wer dem Koch vertraut.

Die Reform scheiterte am Mangel an Ver­trauen. Aber Vertrauen kann man nicht voraussetzen, man muss es sich erarbeiten. Hier haben sowohl der Bundesrat wie die kantonalen Regierungen und die Wirtschafts­vertreter viel zu wenig unternommen. Erst eine Woche vor dem Urnengang versicherten die kantonalen Finanzdirektoren, sie würden Steuer­ausfälle nicht mit höheren Steuern für Private finanzieren. Da war es zu spät.

Die Regierenden müssen bei komplexen Vor­lagen mit unsicheren Folgewirkungen frühzeitig vertrauensbildende Massnahmen ergreifen. Sie müssen persönlich hinstehen und sich festlegen, was sie tun werden, sollten sie sich verschätzen; wo sie die Ausfälle kompensieren, wenn die Steuerausfälle grösser sind als erwartet.

In nächster Zeit kommen weitere komplexe Vorlagen mit weitreichenden und unklaren Aus­wirkungen auf den Tisch. Neben der Neuauflage der Unternehmenssteuerreform sind das zum Beispiel die Reform der Altersvorsorge oder die Energiestrategie 2050. Wohl wird man aus der Niederlage lernen, und vielleicht werden die be­gleitenden Kampagnen besser sein als dieses Mal. Aber es wäre klug, etwas weniger in Kam­pagnen und dafür viel mehr in vertrauens­bildende Massnahmen zu investieren.

Dann werden die Stimmbürger die Suppe auch wieder essen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 19. Februar 2017

Danke, Hans Rosling!

Er entdeckte Löcher, «tiefe schwarze Löcher des Unwissens» – und versuchte, sie mit Fakten zu füllen. So beschrieb der schwedische Arzt, Gesundheitsforscher und Statistiker Hans Rosling seine Lebensaufgabe. Er war ein Vorbild für Fakten-Checker. In Experimenten zeigte er, wie wenig selbst gebildete Leute vom Zustand der Welt verstehen. Sogar Schimpansen schätzten die Daten zur weltweiten Armut, zu Alphabetisierung oder Lebenserwartung realistischer ein als sie.

Im letzten Herbst wies er nach, dass eine breit zitierte UNO-Studie auf grob fehlerhaften Hochrechnungen beruhte. Sie hatte behauptet, dass 60 Prozent aller vermeidbaren Fälle von Müttersterblichkeit auf Frauen entfielen, die auf der Flucht seien oder in Konfliktgebieten lebten. Damit wurden Gelder in Flüchtlingslager geleitet statt nach Schwarzafrika und Indien, wo die Müttersterblichkeit am höchsten ist.

Als Arzt in Moçambique hatte er 1981 den Ausbruch einer unbekannten Krankheit beobachtet, die Lähmungen verursachte. Er fand schliesslich die Ursache im Verzehr von ungenügend verarbeitetem Maniok. In Kuba konnte er Fidel Castro erklären, was kubanische Ärzte nicht zu äussern wagten: dass die Bevölkerung wegen Proteinmangel krank wurde. 2014 reiste er nach Liberia, um Daten zur Ausbreitung der Ebola-Epidemie zu sammeln.

Am 7. Februar ist Hans Rosling im Alter von 68 Jahren verstorben.

Unvergessen bleibt er dank unzähligen Videos (zu finden auf der von ihm gegründeten Datenplattform Gapminder.org oder auf Youtube). Er war ein Genie darin, trockene Statistiken durch Visualisierung zum Leben zu erwecken. Auf seine unnachahmliche Weise gelang es ihm, mit Daten und Fakten eindrückliche und faszinierende Geschichten zu erzählen – sei es über den Zauber der Waschmaschine, die Angst vor dem weltweiten Bevölkerungswachstum oder 200 Jahre Weltgeschichte in vier Minuten. Um zu zeigen, dass wir auch scheinbar Unmögliches schaffen, wenn wir es nur an packen, schluckte er auch schon mal ein Schwert.

Danke, Hans Rosling!

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 19. Februar 2017

Sollen doch die Roboter Steuern zahlen

Roboter nehmen uns die Arbeit weg. Xavier Oberson, Professor für Steuerrecht an der Universität Genf, fordert deshalb eine Robotersteuer. Der BMW-Betriebsratschef schlägt eine Digitalisierungssteuer vor für Unternehmen, die Arbeitskräfte durch Computer ersetzen. Und die österreichischen Sozialdemokraten möchten eine Maschinensteuer, um die Steuerlast von der Arbeit zum Kapital zu verschieben. Was auf den ersten Blick clever aussieht, ist ökonomisch und steuerpolitisch wenig durchdacht.

Die Befürchtung, dass uns die Arbeit ausgehen könnte, erwies sich in der Vergangenheit regelmässig als unbegründet. Der technische Fortschritt brachte nicht Elend, sondern Wohlstand für alle. Es ist auch nicht klar, dass wegen des Einsatzes von Robotern die Kapitalerträge auf Kosten der Löhne steigen. Trotz intensiver Automatisierung blieb die Lohnquote – der Anteil der Löhne am Volkseinkommen – in der Schweiz stabil.

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Sollten aber die Kapitalerträge dank Robotern tatsächlich steigen, dann erhöhen sich auch die Gewinnsteuereinnahmen. Dafür braucht es keine neue Steuer, die sehr viel schwieriger zu erheben wäre.

Belastet man das Kapital mit einer Robotersteuer, sinkt die Produktivität der eingesetzten Arbeit. Unser Wohlstand beruht aber auf einer hohen Produktivität – der Fähigkeit, möglichst viel Wert mit möglichst wenig Arbeitseinsatz zu schaffen. Deshalb haben wir die höchsten Löhne der Welt. Eine Robotersteuer bremst durch die Erhöhung der Kapitalkosten den technischen Fortschritt, beeinträchtigt die Produktivität und dämpft den Lohnanstieg.

Hinter der Robotersteuer steckt ein ökonomischer Irrtum, der auch im Streit um die Unternehmenssteuerreform wuchert. Zwar zahlen Unternehmen die Steuer, aber letztlich tragen müssen sie natürliche Personen: Aktionäre über tiefere Ausschüttungen, Kunden über höhere Preise und Arbeitnehmer über tiefere Löhne. Weil aber das Kapital mobil ist und die Preise im Wettbewerb kaum erhöht werden können, schultern Arbeitnehmer die Hauptlast.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 5. Februar 2017

Ja, die Berichterstattung über Trump muss sein

Haben Sie allmählich genug davon? Können Sie die Medienberichte über den neuen
US-Präsidenten nicht mehr sehen? Dann wird Ihnen die SonntagsZeitung, die Sie in Händen halten, keine Freude machen. Donald Trump ist erneut das Topthema, zum zweiten Mal seit seiner Amtseinführung. Muss das wirklich sein? Auf den Redaktionen des «Tages-Anzeigers» und der SonntagsZeitung diskutieren wir seit Wochen darüber, wie wir mit dem Phänomen Trump umgehen, wie wir auf seine Tweets reagieren und wie ausführlich und wie häufig wir berichten sollen.

Nach vierzehn Tagen Trump im mächtigsten Amt der Welt ist klar: Ja, es muss sein. Das Interesse an Trump, seiner Politik und den Folgen für Gesellschaft, Wirtschaft und Politik ist riesig. In der abgelaufenen Woche waren Trump-Themen die mit grossem Abstand meistgelesenen Beiträge auf Tages-Anzeiger.ch. Mindestens zwei, oftmals auch drei oder vier Trump-Geschichten schafften es jeden Tag unter die Top 10 der meistgelesenen Artikel. Mit einer Ausnahme belegte Trump immer Platz 1. Einer schaffte es, ihn von der Spitze zu verdrängen: Am Montag nach seinem Turniersieg in Melbourne stiess Roger Federer auf noch mehr Interesse.

Wohl noch nie hat ein neuer Präsident für so viel Aufregung gesorgt. Nur bei Kriegen und Katastrophen konzentriert sich die Aufmerksamkeit der Welt sonst derart auf ein Thema. Das Cover des üblicherweise mit britischem Understatement berichtenden «Economist» zeigt Trump als Molotow-Cocktail-Werfer: «Ein Aufständischer im Weissen Haus».

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Auf dem «Spiegel»-Titel erscheint er gar als IS-Terrorist: die Machete in der einen, den abgeschlagenen Kopf der Freiheitsstatue in der anderen Hand. Manche Leute sehen bereits den Punkt erreicht, wo Widerstand zur Bürgerpflicht wird.

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Trump hat die Medien zu seinen – und Amerikas – Feinden erklärt. Als Zeitungsmacher versuchen wir, darauf mit professioneller, journalistischer Nüchternheit zu reagieren. Mit Analysen, Reportagen, Hintergrundrecherchen, Erklärungen und persönlichen Kommentaren wollen wir das Phänomen Trump erklären, die Ereignisse einordnen und Orientierung bieten. Denn noch ist nicht klar, was in Trumps Regierung genau vor sich geht. Wie viel von dem, was wir täglich aus dem Weissen Haus vernehmen, entspringt einer klaren politischen Strategie, wie viel ist einem hastigen Change-Management oder schlicht Inkompetenz geschuldet? Die Ereignisse der letzten Tage geben immerhin Anlass zu Optimismus: Die demokratischen Institutionen in den USA funktionieren nach wie vor.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 5. Februar 2017