Demokratie

Wenn die EU sich in Volksnähe versucht

So wünschen wir uns Politiker: «Die Menschen wollen das, wir machen das.» Das sagt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, nachdem eine Umfragemehrheit die Abschaffung der Zeitumstellung zwischen Winter- und Sommerzeit zu unterstützen scheint. Juncker demonstriert damit Respekt für den Volkswillen, Bürgernähe, Entschlusskraft und Tempo – also alles, woran es den EU-Repräsentanten in den Augen ihrer Kritiker besonders mangelt.

Die plötzlich ausgebrochene Volksnähe stützt die EU-Kommission auf eine Onlinebefragung. Die ist so dilettantisch gemacht, dass man sie einem Statistikanfänger um die Ohren hauen würde. Die Befragten wurden nicht kontrolliert als Stichprobe aus einer Grundgesamtheit ausgewählt, mitmachen konnte, wer wollte. Eine solche auf Selbstselektion basierende Umfrage ist nicht repräsentativ, machen doch dabei erfahrungsgemäss vor allem Leute mit, denen das Thema wichtig ist, in diesem Fall wohl jene, die sich über die Zeitumstellung nerven. Weniger als 1 Prozent der 511 Millionen EU-Bürger haben mitgemacht, zwei Drittel der Teilnehmenden stammen aus Deutschland.

In wichtigen Fragen zeigen die EU-Chefs eher selten Gehör für die Bevölkerung. Aber auf eine schludrig gemachte Meinungsumfrage wollen sie unverzüglich reagieren, ohne wenigstens vorher die Folgen zu klären. Das nennt man Populismus. Fragt die Kommission die Bürger demnächst, ob sie noch Flüchtlinge aufnehmen wollen, ob sie neue Freihandelsabkommen wünschen oder ob die Agrarsubventionen gekürzt werden sollen?

Die Kommission kann zwar den Krümmungsgrad der Gurken in der gesamten EU festlegen, aber der Entscheid für oder gegen die Sommerzeit ist Sache der Mitgliedsstaaten. Wenn sie sich so einig sind wie in vielen anderen Fragen, haben wir bald einen Flickenteppich von Zeitzonen in Europa.

Mit der Flüchtlingskrise, dem drohenden Handelskrieg, den Ungleichgewichten im Euroraum, dem Klimawandel oder der Staatsverschuldung hätte die EU wahrlich genug Handlungsfelder, wo Entschlusskraft, Bürgernähe und Tempo gefordert wären. Aber nach dem Vorbild der Brexit-Befragung in Grossbritannien glaubt sie, die demokratischen Defizite mit einer Meinungsumfrage kompensieren zu können.

Die Zeitumstellung habe ausgedient, meint Juncker. Mag sein. Aber das Gleiche könnte man über ihn sagen.

Dieser Beitrag erschien in einer leicht gekürzten Fassung in der SonntagsZeitung vom 2. September 2018

Die Monarchie – absurd, aber erfolgreich

Einen Menschen aufgrund seiner Geburt über alle anderen herauszuheben und mit enormen materiellen und ideellen Privilegien auszustatten, wirkt heute absurd. Doch die Briten befürworten die Monarchie mit grosser Mehrheit. Es gibt kaum ein politisches Thema, bei dem mehr Einigkeit herrscht. Die Königin wird von allen respektiert – im Gegensatz zu den Politikern. Das Königshaus steht für Kontinuität in einer sich rasch wandelnden Welt. Es funktioniert als Realityshow, aber auch als verbindende Kraft.

Die Show ist teuer, aber auch ein touristischer Trumpf. Und sie richtet weniger Schaden an als die Politshows in manchen Republiken. Auch sonst halten parlamentarische Monarchien einem Vergleich mit Republiken stand. Gemessen am Wohlergehen der Bevölkerung gehören Dänemark, Schweden, Norwegen, Liechtenstein, Japan, Grossbritannien oder die Niederlande zu den erfolgreichsten Ländern. Freiheit, Wohlstand, Fortschritt und Rechtssicherheit sind nicht von der Staatsform abhängig, sondern vom Funktionieren der Institutionen.

Aber in einer Demokratie hängt die Monarchie letztlich von der Zustimmung in der Bevölkerung ab. Solange sie populär bleibt, ist sie unantastbar. In diesem Sinn verleiht die Hochzeit der Bürgerlichen Meghan Markle mit Prinz Harry der Monarchie Zukunft.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 20. Mai 2018

Ja, die Berichterstattung über Trump muss sein

Haben Sie allmählich genug davon? Können Sie die Medienberichte über den neuen
US-Präsidenten nicht mehr sehen? Dann wird Ihnen die SonntagsZeitung, die Sie in Händen halten, keine Freude machen. Donald Trump ist erneut das Topthema, zum zweiten Mal seit seiner Amtseinführung. Muss das wirklich sein? Auf den Redaktionen des «Tages-Anzeigers» und der SonntagsZeitung diskutieren wir seit Wochen darüber, wie wir mit dem Phänomen Trump umgehen, wie wir auf seine Tweets reagieren und wie ausführlich und wie häufig wir berichten sollen.

Nach vierzehn Tagen Trump im mächtigsten Amt der Welt ist klar: Ja, es muss sein. Das Interesse an Trump, seiner Politik und den Folgen für Gesellschaft, Wirtschaft und Politik ist riesig. In der abgelaufenen Woche waren Trump-Themen die mit grossem Abstand meistgelesenen Beiträge auf Tages-Anzeiger.ch. Mindestens zwei, oftmals auch drei oder vier Trump-Geschichten schafften es jeden Tag unter die Top 10 der meistgelesenen Artikel. Mit einer Ausnahme belegte Trump immer Platz 1. Einer schaffte es, ihn von der Spitze zu verdrängen: Am Montag nach seinem Turniersieg in Melbourne stiess Roger Federer auf noch mehr Interesse.

Wohl noch nie hat ein neuer Präsident für so viel Aufregung gesorgt. Nur bei Kriegen und Katastrophen konzentriert sich die Aufmerksamkeit der Welt sonst derart auf ein Thema. Das Cover des üblicherweise mit britischem Understatement berichtenden «Economist» zeigt Trump als Molotow-Cocktail-Werfer: «Ein Aufständischer im Weissen Haus».

20170204_cuk400

Auf dem «Spiegel»-Titel erscheint er gar als IS-Terrorist: die Machete in der einen, den abgeschlagenen Kopf der Freiheitsstatue in der anderen Hand. Manche Leute sehen bereits den Punkt erreicht, wo Widerstand zur Bürgerpflicht wird.

spiegel

Trump hat die Medien zu seinen – und Amerikas – Feinden erklärt. Als Zeitungsmacher versuchen wir, darauf mit professioneller, journalistischer Nüchternheit zu reagieren. Mit Analysen, Reportagen, Hintergrundrecherchen, Erklärungen und persönlichen Kommentaren wollen wir das Phänomen Trump erklären, die Ereignisse einordnen und Orientierung bieten. Denn noch ist nicht klar, was in Trumps Regierung genau vor sich geht. Wie viel von dem, was wir täglich aus dem Weissen Haus vernehmen, entspringt einer klaren politischen Strategie, wie viel ist einem hastigen Change-Management oder schlicht Inkompetenz geschuldet? Die Ereignisse der letzten Tage geben immerhin Anlass zu Optimismus: Die demokratischen Institutionen in den USA funktionieren nach wie vor.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 5. Februar 2017