Wirtschaftspolitik

Dänisches Lob für «Johann Schneider-en-panne»

26.6.2016 / Armin Müller

«Johann Schneider-en-panne», so nenne man den Wirtschaftsminister in der Romandie, behauptete SP-Chef Christian Levrat im «Blick». Schneider-Ammann schaue «tatenlos zu», wie die Industrie verschwinde. Mit den Gewerkschaften fordert Levrat eine Politik gegen Deindustrialisierung.

Bisher erfolglos. Die Deindustrialisierungsthese ist umstritten. Zwar verschwanden in den letzten 20 Jahren in der Schweizer Industrie gut 50 000 Vollzeitstellen. Aber der Anteil der Industrie an der Wertschöpfung blieb bemerkenswert stabil.

Industrie

Rückläufige Beschäftigung in der Industrie, aber stabiler Wertschöpfungsanteil / Quelle: BFS

Die Statistik zeichnet zudem ein zu düsteres Bild, wie Forscher der Universitäten Aarhus und Dartmouth College in einer neuen Untersuchung in Dänemark zeigen. Viele Unternehmen, die früher dem Industriesektor zugerechnet wurden, haben sich zu Dienstleistern gewandelt. Sie sind immer noch in industrienahen Aktivitäten tätig, beschäftigen noch etwa die ­Hälfte der Beschäftigten des Vorgängerbetriebs, sind wesentlich ­produktiver – aber sie betreiben ­keine herkömmliche Fabrik mehr. Nach fünf Jahren stehen die dabei freigestellten Arbeiter besser da als ihre Kollegen, deren Betriebe nicht auf Dienstleistungen umgestellt haben. Die Konzentration der Politik auf die Erhaltung von Industriearbeitsplätzen vernachlässige die Chancen einer ­erfolgreichen Anpassung, folgern die Forscher daraus.

Am Mittwoch hat der Bundesrat den Bericht «Neue Wachstumspolitik 2016–2019» gutgeheissen. Er enthält Massnahmen, die das Wachstum fördern sollen – aber wiederum keinerlei Industrie­politik. Die dänischen Forscher hätten ihre Freude an «Johann Schneider-en-panne».

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 26. Juni 2016

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Goldverkäufe vor dem ­Lichterlöschen

16.5.2016 / Armin Müller

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Quelle: EZV

Die Schweizer Zollstatistik ­erregt derzeit weltweit Auf­sehen. Knapp 60 Tonnen Gold im Wert von 2,2 Milliarden Franken exportierte Venezuela allein in den ersten drei Monaten des Jahres in die Schweiz. Das ist zweieinhalb mal so viel wie im ganzen letzten Jahr und fünfmal so viel wie 2014. Das Gold stammt von der venezolanischen Zentralbank. Das Land steht vor dem Staatsbankrott und braucht Devisen, um Importe zu finanzieren und Schulden zu begleichen. In Caracas lässt sich das Gold aber nicht verflüssigen, da dessen Reinheit nicht garantiert ist und es nicht als Pfand akzeptiert wird, solange es in der Verfügungsgewalt der Regierung steht. Deshalb wird es in Schweizer Goldschmelzen umgegossen.

Die Landeswährung wurde 2008 in Bolivar fuerte (stark) um­getauft. Aber selbst die grösste Banknote reicht nicht mal mehr für ein Bier an der Bar. Toilettenpapier, Medikamente – es fehlt an allem. Gegen die Stromknappheit empfiehlt der Präsident, Frauen sollten aufs Haareföhnen verzichten. Nun werden sogar die Banknoten knapp. Die Zentralbank bestellte im letzten Jahr 15 Milliarden neue Scheine. Doch die Lieferungen verzögern sich, weil die ausländischen Notendrucker nicht rechtzeitig bezahlt wurden. ­Unabhängige Experten schätzen die Inflation auf 290 Prozent. Die Preise verdoppeln sich also alle drei Monate. Mit Enteignungen, staatlichen Vorgaben und rigiden Preiskontrollen verursacht die ­Regierung die Knappheit, die sie zu bekämpfen vorgibt.

Hyperinflation ist in der Regel eine Begleiterscheinung von Krieg und Staatskollaps, wie die Geschichte zeigt. Aber nach Zimbabwe liefert Venezuela ein ­neues Beispiel dafür, dass auch ­verantwortungslose Regierungen Hyperinflation erzeugen können. Hugo Chávez und sein Nach­folger Nicolás Maduro haben Vene­zuela mit ihrem «Sozialismus des 21. Jahrhunderts» ruiniert. Das Land mit den weltweit grössten Erdölvorkommen hat in wenigen Jahren die Hälfte seiner Gold­reserven verscherbelt. Den Venezolanern bleibt nur schwarzer ­Humor: Womit machten die Sozialisten Licht, bevor sie Kerzen hatten? Antwort: mit Elektrizität.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 15. Mai 2016

Wenn Geld und Ideen auswandern

4.4.2016 / Armin Müller

Frankreich steht auf Rang 1, gefolgt von China, Italien, Indien, Griechenland und Russland: Welche Rangliste könnte solch ein Resultat liefern?

Es sind die Länder, die im letzten Jahr am meisten Millionäre verloren haben. 2015 sind rund 10 000 Millionäre mehr aus Frankreich weg- als zugezogen. China verlor per Saldo 9000 und Italien rund 6000 Millionäre. Den stärksten Netto-Zustrom verzeichneten dagegen Australien, die USA, Kanada und Israel. Das berichtet das südafrikanische Beratungsunternehmen New World Wealth. Die Firma befragt Reiche zu deren Domizil, interviewt Migrationsexperten und wertet Visa-Statistiken aus, um die internationale Migration von sehr Vermögenden nachzuverfolgen.

Frankreich führt die Rangliste seit Jahren an, sein Spitzenplatz kommt nicht von ungefähr. Dabei spielt der Spitzensteuersatz von 75 Prozent, den die sozialistische Regierung von François Hollande 2013 einführte, gar nicht mal die grösste Rolle. Es sind der Mangel an Möglichkeiten und Chancen, der wirtschaftliche Niedergang und die zunehmenden politischen oder religiösen Spannungen, welche die Leute vertreiben.

Am grössten ist die Perspektivlosigkeit bei den Jungen. Im Gegensatz zu den Reichen können sie nicht einfach wegziehen. Aber auf die Frage, ob sie Frankreich verlassen würden, wenn sie könnten, antwortete 2013 die Hälfte der 18- bis 34-Jährigen mit «Oui».

Es sind wohl nicht die Gleichen, die am Donnerstag in vielen französischen Städten auf die Strasse gingen, um gegen die geplante Arbeitsmarktreform der Regierung zu protestieren. Die Gewerkschaften bestreiken Bahnen, Flughäfen, Schulen, Universitäten, Krankenhäuser und Medienunternehmen. Von den Reformen dürfte am Schluss nicht viel übrig bleiben.

Mit den Jungen und dem Kapital gehen aber auch Ideen und Unternehmertum, die Frankreich dringend braucht. Der Auszug der Millionäre hilft den Sozialisten zwar in ihrem zentralen Kampf gegen die Ungleichheit, denn weniger Reiche bedeuten statistisch mehr Gleichheit. Nur den übrigen Franzosen geht es deswegen keinen Deut besser.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 3. April 2016