Monat: September 2017

Dank Aberglauben zu besseren Noten

Wer im Jahr des Drachens geboren wird, gilt in Asien als Glückskind und Führernatur. Eltern bevorzugen es deshalb, ihr Kind im Drachenjahr zur Welt zu bringen. So heiraten Paare gehäuft vor dessen Beginn, und die Zahl der Geburten steigt in Drachenjahren deutlich an.

Nun wissen aufgeklärte Zeitgenossen, dass die Tierkreiszeichen natürlich keinen Einfluss auf den Charakter haben und die elterlichen Erwartungen an den Kindserfolg reiner Aberglaube sind. Und trotzdem sind Drachenkinder in China besser in der Schule als Kinder, die in anderen Jahren geboren wurden. Sie haben bessere Noten in der Mittelschule, erzielen bessere Testresultate an den Aufnahmeprüfungen zur Universität und erreichen mit grösserer Wahrscheinlichkeit eine Hochschulausbildung, wie zwei Forscher der Louisiana State University in einer neuen Studie nachgewiesen haben.

Der Erfolg der Drachenkinder lässt sich nicht durch den familiären Hintergrund, durch Ausbildung oder Einkommen der Eltern oder die kognitiven Fähigkeiten der Kinder erklären. Drachenkinder haben auch nicht ein grösseres Selbstvertrauen oder höhere Erwartungen an ihre Zukunft.

Den entscheidenden Unterschied macht der Aberglaube ihrer Eltern. Diese glauben, dass die Geburt im Jahr des Drachens den schulischen und beruflichen Erfolg ihres Kindes beflügeln wird und haben deshalb deutlich höhere Erwartungen als Eltern anderer Kinder. Der Aberglaube der Eltern verhilft dem Kind zum Erfolg. Ihre Erwartungen, obwohl rational völlig unbegründet, werden so zur selbsterfüllenden Prophezeiung.

Glaube kann Berge versetzen, das wusste schon die Bibel. Glaube kann Berge von Wissen ersetzen, das beobachten wir jeden Tag im Internet. Jetzt wissen wir auch: Der Glaube der Eltern kann dem Kind helfen, auch wenn es selber nicht dran glaubt.

Glaube allein reicht allerdings nicht. Die Eltern der Drachenkinder investierten nämlich auch mehr Zeit und Geld in ihr Kind.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 17. September 2017

Soll man Kinder mit Geld ködern?

Die Credit Suisse hat diese Woche Digipigi, ein digitales Sparschweinchen, auf die Kinder losgelassen. Es reagiert mit Mimik und Geräuschen auf den Geldeinwurf und – dank Verbindung zum Internet – auch auf Einzahlungen aufs Sparkonto. Die Kinder sollen «spielerisch den Umgang mit Geld lernen».

Dagegen ist nichts einzuwenden. Auf Kritik stiess jedoch die Aufforderung, Eltern sollten Kinder durch Digipigi­-Einzahlungen zur Mithilfe im Haushalt animieren: «Gemeinsam mit Ihrem Kind vereinbaren Sie für bestimmte Ämtli eine Belohnung – so kann Ihr Kind sich etwas dazuverdienen und bekommt ein Gefühl für den Wert von Lohn und Arbeit.» Soll man Kinder dafür zahlen, dass sie den Tisch decken, Geschirr spülen, mit dem Hund Gassi gehen, den Hamsterkäfig putzen? In einer Umfrage hat die Bank herausgefunden, dass bei gut einem Drittel der Kinder das Sackgeld von einem Ämtli abhängig gemacht wird.

Weil Lesen Spass macht und die Erfolgschancen im späteren Leben erhöht, haben Pädagogen auch schon vorgeschlagen, Kinder fürs Lesen zu bezahlen. Vielleicht sieht ein Kind heute noch nicht ein, wie interessant und nützlich Lesen sein kann, ein kleiner Anreiz wäre so eine Investition in die Zukunft des Kindes.

Auf der anderen Seite weiss man, dass extrinsische, durch äussere Reize wie Geld hervorgerufene Motivation unter Umständen die intrinsische, aus sich selbst entstehende Motivation zerstören kann. Zum Beispiel könnte das Kind den Eindruck erhalten, Lesen müsse mühsam sein, sonst würde man es ja kaum dafür bezahlen.

Ein Experiment in den USA ergab, dass Kinder, die mit Geschenken geködert wurden, tatsächlich mehr Bücher lasen. Allerdings wirkte der Anreiz nur bei jenen, die eh schon gerne lasen. Bei den Unmotivierten funktionierte es nicht.

Kinder zum Lesen oder zur Mithilfe im Haushalt zu motivieren, ist eine gute Sache. Dazu auf Geld zu setzen, vielleicht weniger. Bei den Bankern soll das ja mitunter ganz ähnlich sein.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 3. September 2017

Soll man die AHV-Reform annehmen?

 

Am 24. September stimmen wir über die Altersvorsorge 2020 ab. Für manche ist sie die dringend nötige Korrektur – für andere nur die Verschiebung des Problems.

Arthur Rutishauser sagt: Ja

Ich sage: Nein.

20 Jahre nach der letzten Reform und nach zwei gescheiterten Anläufen stimmen wir am 24. September über die Altersvorsorge 2020 ab. Die aktuelle Reform sollte das Rentenniveau sichern, die AHV-Finanzen ins Gleichgewicht bringen und die finanzielle Situation der Pensionskassen verbessern. Gemessen an diesen Zielen, ist der Begriff «Reform» zu hoch gegriffen.

Im Wesentlichen verschiebt die Vorlage die Probleme in die Zukunft. Das Rentenniveau bleibt für die heutigen Rentner und für die Übergangsgeneration mit Jahrgang 1973 und älter zwar erhalten. Aber die Kosten werden auf die Jüngeren abgeschoben. Sie werden bis zur Pension ein Vielfaches ihrer eigenen Rente finanzieren müssen.

Das Ziel, die AHV-Finanzen ins Gleichgewicht zu bringen, wird verfehlt. Obschon die Stimmbevölkerung letztes Jahr einen AHV-Ausbau deutlich abgelehnt hat, soll diese durch die 70 Franken pro Monat mit der Giesskanne verteilt werden. Jenen mit den tiefsten Einkommen bringt das nichts, die Gutverdienenden brauchen es nicht. Schon 2027 rechnet das Bundesamt für Sozialversicherungen bei Annahme der Vorlage wieder mit einem negativen Umlageergebnis in Milliardenhöhe. Und das unter der Annahme einer jährlichen Nettozuwanderung von 60 000 Personen und einem Lohnwachstum von 1,9 Prozent pro Jahr. Beides erscheint recht optimistisch.

Die Senkung des Umwandlungssatzes in der zweiten Säule ist dringend. Aber auch hier löst die Vorlage das Problem nicht, sondern bremst nur das Tempo, mit dem die Pensionskassen in die finanzielle Schieflage abrutschen. Auch mit dem gesenkten Umwandlungssatz werden sich die Rentner in der zweiten Säule nicht selbst finanzieren können, sie müssen weiterhin von den Erwerbstätigen quersubventioniert werden. Diese Umverteilung wird durch die Vorlage nicht beseitigt, nur etwas reduziert. Die Lücken bei den Jüngeren werden dafür immer grösser.

Die Renten sind abhängig von Lebenserwartung und Kapitalrendite, beide kann die Politik nicht beeinflussen. Die gesetzliche Fixierung des Umwandlungssatzes gleicht dem Vorhaben, die Fallgeschwindigkeit gesetzlich festzulegen: Wir schlagen deshalb in der Schweiz nicht weniger hart auf dem Boden auf, wenn wir aus dem Fenster stürzen. Die Renten lassen sich letztlich nur sichern, wenn wir mehr einzahlen, die Leistungen senken oder das Rentenalter an die Lebenserwartung koppeln. Die aktuelle Vorlage beschränkt sich auf Beitrags- und Steuererhöhungen.

Auch eine schlechte Reform ist besser als gar keine Reform, sagen die Befürworter. Es ist ihr stärkstes Argument. Aber damit sollten wir uns nicht zufriedengeben.

Dieser Beitrag erschien zuerst im Tages-Anzeiger vom 2. September 2017