Monat: August 2018

Schwindel statt Wunder

 

2,6 Millionen Bolivar kostet eine Rolle WC-Papier in Caracas. Was das heisst, zeigt das Foto mit dem Stapel von 2600 Tausendernoten, der grössten Banknote Venezuelas. Es ist zehn Tage alt, heute wäre der Stapel noch höher. Die Preise haben sich in einem Monat etwa verdoppelt. Die Inflation im Land wird auf rund 55’000 Prozent pro Jahr geschätzt. Ex-Präsident Hugo Chávez und sein Nachfolger Nicolás Maduro haben Venezuela mit ihrem «Sozialismus des 21.Jahrhunderts» ruiniert. Die Menschen hungern, Millionen verlassen das Land mit den weltweit grössten Erdölvorkommen.

Eine Währungsreform soll die Hyperinflation stoppen. Der neue «souveräne» Bolivar hat fünf Nullen weniger als sein Vorgänger. Das entspricht einer Abwertung des offiziellen Wechselkurses um 96 Prozent. Er wird an die staatliche Kryptowährung Petro gekoppelt. Das soll ihm Stabilität geben, weil der Petro angeblich mit Vorräten der staatlichen Ölgesellschaft PDVSA gedeckt ist.

Das Ganze ist ein grosser Schwindel. Die PDVSA ist heruntergewirtschaftet und hoch verschuldet, der Petro wird nicht gehandelt, falls er überhaupt existiert. «Ich weiss, dass die in Politik verwandelte Liebe zu einem Wunder wird», schwafelt Maduro, «ein Wirtschaftswunder wird in Venezuela geschehen.» Wie der neuen Währung fehlt ihm jegliche Glaubwürdigkeit. Maduro ist weder fähig noch willens, die wirtschaftspolitischen Reformen anzupacken, die die Basis für eine stabile Währung bilden könnten.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 26. August 2018

Das Ausschalten von Steueroasen kann Jobs kosten

Der auf öffentliche Finanzen und Unternehmenssteuern spezialisierte Professor der Duke University zeigt: Schlupflöcher in Steueroasen zu bekämpfen, kann schwere unbeabsichtigte Nebenwirkungen haben. So schlossen die USA zwischen 1996 und 2006 ein Steuerschlupfloch für US-Multis in Puerto Rico. Das brachte erst mal höhere Steuereinnahmen. Aber die betroffenen Multis beschäftigten in den USA rund 11 Millionen Arbeitnehmer und zeichneten für 16 Prozent der Investitionen von kotierten Firmen verantwortlich. Weil das Ende des Schlupflochs ihre Investitionen in den USA verteuerte, reduzierten sie diese um 38 Prozent und verlagerten 1 Million Stellen ins Ausland. Besonders betroffene lokale Arbeitsmärkte litten noch 15 Jahre nach der Steuerreform an tieferen Löhnen und geringerer Beschäftigung.

Einseitige Aktionen gegen das Verschieben von Gewinnen können auch schlecht ausgehen, warnt der Forscher. Mögliche negative Auswirkungen von Trumps Steuerreform auf das Investitionsverhalten von US-Multis seien ungenügend untersucht worden. Die neuen Minimalsteuern für immaterielle Erträge könnten zu Arbeitsplatzverlusten in den USA führen, weil sie die Steuerlast für mobiles Kapital erhöhen. Er empfiehlt stattdessen multilaterale Vorgehensweisen gegen Gewinnverschiebungen. Aber eben: Multilaterale Aktionen sind nicht Trumps Sache.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 12. August 2018

Datendiebstähle gefährden unsere Infrastrukturen

Wer privat und geschäftlich im Internet unterwegs ist, twittert oder über Facebook kommuniziert, übers Web einkauft, Hotel und Flüge bucht, Rechnungen bezahlt, Bankgeschäfte tätigt, Software nutzt und wer weiss noch was alles online treibt, der jongliert zwangsläufig mit vielen Log-ins, Passwörtern und Nummern, die nicht in die falschen Hände gelangen sollten. Knapp 150 Passwörter habe ich selber derzeit in meiner Datenbank gespeichert.

Die Häufigkeit und das Ausmass der Datendiebstähle haben in den letzten fünf Jahren massiv zugenommen. Bisher bekannt wurden vor allem Fälle, in denen Cyberkriminelle mit den gestohlenen Daten Waren im Internet bestellten oder Bankkonten leerten. Hacker können damit aber auch weit schwerwiegendere Angriffe durchführen. Dass auch Beamte, Bundespolizisten und Ruag-Kaderleute in grosser Zahl gehackt werden, gibt zu denken. Und es sollte uns eine Warnung sein. Es geht dabei nicht nur um Onlinekäufe auf fremde Kosten. Bald sollen wir auch übers Internet abstimmen und wählen. 2016 wurde bekannt, dass im bisher grössten Schweizer Fall von Cyberspionage die staatliche Waffenfirma Ruag über Jahre von Cyberkriminellen ausspioniert worden war. Die angeblich aus Russland stammenden Angreifer gelangten nicht nur in das IT-System des Unternehmens, sondern offenbar teilweise auch ins System des Bundes.

Von Cyberattacken geht heute wohl die grösste Bedrohung aus für unsere Infrastrukturen – Finanzsystem, Energieversorgung, Informations- und Verkehrssysteme, Armee und Polizei. Als vor 17 Jahren Terroristen mit entführten Flugzeugen das World Trade Center angriffen, brach das US-Finanzsystem nur dank dem raschen und massiven Eingreifen der US-Zentralbank nicht völlig zusammen. Weil wir immer abhängiger werden von den modernen Informationstechnologien und weil heute alle wichtigen Infrastrukturen miteinander vernetzt sind, könnten Cyberangriffe weit grösseren Schaden anrichten, als al-Qaida das 2001 getan hat. Die Verletzlichkeit ist grösser geworden. Nicht nur Cyberkriminelle, sondern auch Staaten lancieren Cyberattacken. Es wird eine der grössten Herausforderungen sein, unsere Systeme widerstandsfähiger und sicherer zu machen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 5. August 2018

Wäre die Schweiz ein Dorf mit 100 Einwohnern…

Am Mittwoch feiern wir den Nationalfeiertag – der geeignete Anlass, die Schweiz zu erklären. Die Bundesräte gehen mit gutem Beispiel voran. 17 Ansprachen und Auftritte absolvieren sie insgesamt: Johann Schneider-Ammann liegt an der Spitze mit fünf, Ueli Maurer – 2013 mit neun Auftritten der Rekordhalter – ausnahmsweise am Schluss mit null (er besucht seinen Sohn in Norwegen). Da wollen wir nicht abseitsstehen und die Schweiz mit der Statistik abbilden.

Wäre die Schweiz ein Dorf mit 100 Einwohnern, dann wären:

  • 50 Frauen und 50 Männer.
  • 44 ledig, 43 verheiratet (oder in eingetragener Partnerschaft), 8 geschieden und 5 verwitwet.
  • 75 Einheimische, 25 Fremde.
  • 18 Zürcher, 12 Berner, 9 Waadtländer, 8 Aargauer, je 6 Basler (BS & BL), Genfer und St. Galler, 5 Luzerner, je 4 Freiburger, Tessiner und Walliser, je 3 Solothurner und Thurgauer, je 2 Bündner, Neuenburger und Schwyzer, je 1 Appenzeller (IR & AR), Jurassier, Schaffhauser, Unterwaldner und Zuger; (fehlt noch 1 Dorfbewohner bis auf 100 – Glarner und Urner machen weniger als 0,5 Prozent der Bevölkerung aus).
  • 66 zwischen 15 und 65 Jahre alt, 18 im Pensionsalter und 16 Kinder; letztes Jahr wurde 1 Kind geboren, 1 Dorfbewohner verstarb, 2 wanderten ein und 1 aus; und es wurde 1 Hochzeit gefeiert.
  • 37 katholisch, 25 reformiert, 24 konfessionslos und 5 muslimisch (und 9 andere).
  • 63 deutscher Hauptsprache, 23 französischer, 8 italienischer, 5 englischer, 4 portugiesischer und 3 albanischer, je 2 serbsichkroatischer und spanischer (mehrere Hauptsprachen möglich; rätoromanisch als Hauptsprache geben noch 0,5 Prozent der Bevölkerung an).
  • 44 Arbeitnehmende, 18 Rentner, 7 Selbstständige, 5 in Ausbildung (davon 2 Lehrlinge), 3 Erwerbslose, 3 Hausfrauen oder -männer und 16 Kinder.
  • 8 in der Fabrik oder im Gewerbe beschäftigt, 8 im Gesundheitsund Sozialwesen, 7 im Handel, 4 auf dem Bau, je 3 auf der Bank und im Hotel/Restaurant sowie 2 auf der Gemeinde.
  • 39 aktive Vereinsmitglieder und 29 passive.

(Quelle: BFS/eigene Berechnungen)

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 29. Juli 2018