Statistik

Wäre die Schweiz ein Dorf mit 100 Einwohnern…

Am Mittwoch feiern wir den Nationalfeiertag – der geeignete Anlass, die Schweiz zu erklären. Die Bundesräte gehen mit gutem Beispiel voran. 17 Ansprachen und Auftritte absolvieren sie insgesamt: Johann Schneider-Ammann liegt an der Spitze mit fünf, Ueli Maurer – 2013 mit neun Auftritten der Rekordhalter – ausnahmsweise am Schluss mit null (er besucht seinen Sohn in Norwegen). Da wollen wir nicht abseitsstehen und die Schweiz mit der Statistik abbilden.

Wäre die Schweiz ein Dorf mit 100 Einwohnern, dann wären:

  • 50 Frauen und 50 Männer.
  • 44 ledig, 43 verheiratet (oder in eingetragener Partnerschaft), 8 geschieden und 5 verwitwet.
  • 75 Einheimische, 25 Fremde.
  • 18 Zürcher, 12 Berner, 9 Waadtländer, 8 Aargauer, je 6 Basler (BS & BL), Genfer und St. Galler, 5 Luzerner, je 4 Freiburger, Tessiner und Walliser, je 3 Solothurner und Thurgauer, je 2 Bündner, Neuenburger und Schwyzer, je 1 Appenzeller (IR & AR), Jurassier, Schaffhauser, Unterwaldner und Zuger; (fehlt noch 1 Dorfbewohner bis auf 100 – Glarner und Urner machen weniger als 0,5 Prozent der Bevölkerung aus).
  • 66 zwischen 15 und 65 Jahre alt, 18 im Pensionsalter und 16 Kinder; letztes Jahr wurde 1 Kind geboren, 1 Dorfbewohner verstarb, 2 wanderten ein und 1 aus; und es wurde 1 Hochzeit gefeiert.
  • 37 katholisch, 25 reformiert, 24 konfessionslos und 5 muslimisch (und 9 andere).
  • 63 deutscher Hauptsprache, 23 französischer, 8 italienischer, 5 englischer, 4 portugiesischer und 3 albanischer, je 2 serbsichkroatischer und spanischer (mehrere Hauptsprachen möglich; rätoromanisch als Hauptsprache geben noch 0,5 Prozent der Bevölkerung an).
  • 44 Arbeitnehmende, 18 Rentner, 7 Selbstständige, 5 in Ausbildung (davon 2 Lehrlinge), 3 Erwerbslose, 3 Hausfrauen oder -männer und 16 Kinder.
  • 8 in der Fabrik oder im Gewerbe beschäftigt, 8 im Gesundheitsund Sozialwesen, 7 im Handel, 4 auf dem Bau, je 3 auf der Bank und im Hotel/Restaurant sowie 2 auf der Gemeinde.
  • 39 aktive Vereinsmitglieder und 29 passive.

(Quelle: BFS/eigene Berechnungen)

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 29. Juli 2018

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Danke, Hans Rosling!

Er entdeckte Löcher, «tiefe schwarze Löcher des Unwissens» – und versuchte, sie mit Fakten zu füllen. So beschrieb der schwedische Arzt, Gesundheitsforscher und Statistiker Hans Rosling seine Lebensaufgabe. Er war ein Vorbild für Fakten-Checker. In Experimenten zeigte er, wie wenig selbst gebildete Leute vom Zustand der Welt verstehen. Sogar Schimpansen schätzten die Daten zur weltweiten Armut, zu Alphabetisierung oder Lebenserwartung realistischer ein als sie.

Im letzten Herbst wies er nach, dass eine breit zitierte UNO-Studie auf grob fehlerhaften Hochrechnungen beruhte. Sie hatte behauptet, dass 60 Prozent aller vermeidbaren Fälle von Müttersterblichkeit auf Frauen entfielen, die auf der Flucht seien oder in Konfliktgebieten lebten. Damit wurden Gelder in Flüchtlingslager geleitet statt nach Schwarzafrika und Indien, wo die Müttersterblichkeit am höchsten ist.

Als Arzt in Moçambique hatte er 1981 den Ausbruch einer unbekannten Krankheit beobachtet, die Lähmungen verursachte. Er fand schliesslich die Ursache im Verzehr von ungenügend verarbeitetem Maniok. In Kuba konnte er Fidel Castro erklären, was kubanische Ärzte nicht zu äussern wagten: dass die Bevölkerung wegen Proteinmangel krank wurde. 2014 reiste er nach Liberia, um Daten zur Ausbreitung der Ebola-Epidemie zu sammeln.

Am 7. Februar ist Hans Rosling im Alter von 68 Jahren verstorben.

Unvergessen bleibt er dank unzähligen Videos (zu finden auf der von ihm gegründeten Datenplattform Gapminder.org oder auf Youtube). Er war ein Genie darin, trockene Statistiken durch Visualisierung zum Leben zu erwecken. Auf seine unnachahmliche Weise gelang es ihm, mit Daten und Fakten eindrückliche und faszinierende Geschichten zu erzählen – sei es über den Zauber der Waschmaschine, die Angst vor dem weltweiten Bevölkerungswachstum oder 200 Jahre Weltgeschichte in vier Minuten. Um zu zeigen, dass wir auch scheinbar Unmögliches schaffen, wenn wir es nur an packen, schluckte er auch schon mal ein Schwert.

Danke, Hans Rosling!

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 19. Februar 2017

Warum immer mehr Prominente sterben

David Bowie, Prince, Muhammad Ali, Fidel Castro, Carrie Fisher, George Michael, Johan Cruyff, Umberto Eco, Leonard Cohen, Shimon Peres – 2016 starben mehr Berühmtheiten als je zuvor. Diesen Eindruck vermittelten ­zumindest Jahresrückblicke und Medienberichte über «ein schwarzes Jahr». Forscher des MIT Media Lab in Cambridge wollten es genauer wissen. Sie fokussierten für ihre Untersuchung auf die 29’421 Personen, die auf Wikipedia in mehr als zwanzig Sprachen porträtiert werden – eine ­Methode, die offenbar wissenschaftlichen Standards genügt.

Die Zahl solcher Promi-Todesfälle stieg zwischen 2000 und 2015 von 86 auf 195 stark an. 2016 waren es aber nur 181. Trotzdem täuscht das Gefühl nicht, dass im letzten Jahr mehr Stars von uns gingen als früher. Berücksichtigt man nämlich nur die Superstars, deren Porträts in mehr als siebzig Sprachen auf Wikipedia zu finden sind, dann war 2016 mit 16 Toten tatsächlich ein schwarzes Jahr. 2015 waren es nur neun und 2014 zehn gewesen.

Wir sollten uns daran gewöhnen. Die Zahl der Berühmtheiten wächst schneller als die Weltbevölkerung. Dank der Verbreitung von Radio, Fernsehen, Tonträgern und Filmen produzierte das 20. Jahrhundert Stars wie nie zuvor. Wir erleben nun den Tod von Berühmtheiten, die ihre grössten Leistungen in den 1960er- bis 1980er-Jahren vollbrachten und deren Ruhm durch die Medien vervielfältigt wurde.

Als Folge der Kommunikationsrevolution ­müssen wir mit weiteren Steigerungen rechnen. So lange, bis die Zahl der Berühmtheiten nicht mehr durch die Kommunikationsmittel begrenzt wird, sondern durch unsere beschränkte Aufmerksamkeitskapazität.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 8. Januar 2017

Ein Einfallstor für irreführende Meldungen

Big Data soll Donald Trump zur Wahl verholfen haben. Mit einem cleveren Algorithmus könne man aus Facebook-Profilen präzise Aussagen über die Persönlichkeit treffen. Aus durchschnittlich 68 Facebook-Likes eines Users lasse sich zum Beispiel mit 88-prozentiger Wahrscheinlichkeit vorhersagen, ob er homosexuell ist. Eine Gruppe von Wissenschaftlern um den Psychologen und Risikoexperten Gerd Gigerenzer hat die Aussage diese Woche als «Unstatistik des Monats Dezember» ausgezeichnet. Seit 2012 versuchen sie mit dieser «Ehrung» zu einem vernünftigeren Umgang mit Daten und Fakten beizutragen.

Die 88 Prozent geben gar nicht die Prognosegenauigkeit an. Die Aussage ist viel bescheidener: Wenn man je einen homosexuellen und einen heterosexuellen Mann vor sich hat, kann man diese mit 88 Prozent Wahrscheinlichkeit der richtigen Gruppe zuordnen. Selbst wenn der Algorithmus tatsächlich eine echte Wahrscheinlichkeitsaussage liefern würde, wäre das noch keine besondere Leistung: Würde ich nämlich bei einer Stichprobe von 100 000 Männern vorhersagen, dass alle heterosexuell sind, wäre meine Trefferquote höher als die 88 Prozent des Algorithmus, solange der Anteil der Homosexuellen in der Gesamtbevölkerung weniger als 12 Prozent beträgt.

Unser Hirn ist nicht geschaffen für den Umgang mit Wahrscheinlichkeiten. Das ist ein Einfallstor für irreführende Meldungen. Wenn etwa die Weltgesundheitsorganisation warnt, täglich 50 Gramm Wurst erhöhe das Darmkrebsrisiko um 18 Prozent, oder wenn behauptet wird, Auswertungen von Anfragen bei der Suchmaschine Bing ermögliche die Früherkennung von Bauchspeicheldrüsenkrebs und rette Leben. Der Stoff für die «Unstatistik des Monats» wird uns nicht ausgehen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 11. Dezember 2016

Humbug mit Zahlen

24.1.2016 / Armin Müller

Alle Jahre wieder treffen sich im Januar die Reichen und Mächtigen in Davos, um «den Zustand der Welt zu verbessern». Alle Jahre wieder nutzt die Entwicklungsorganisation Oxfam das World Economic Forum für ihre Spendenwerbung. Und alle Jahre wieder macht ihr Zahlen-Humbug weltweit Schlagzeilen. Die 62 reichsten Personen der Welt besässen so viel Vermögen wie die Hälfte der Menschheit zusammen, behauptet Oxfam. Tatsächlich kommen die 62 aber nur auf 0,7 Prozent des Weltvermögens. Das bringt jedoch keine Schlagzeile.

Dazu braucht es einen Trick. Für ihren Vergleich mixt Oxfam das «Global Wealth Databook» der Credit Suisse mit der Milliardärsliste von «Forbes». Die Credit Suisse arbeitet mit Nettovermögen, also Ersparnissen abzüglich Schulden. Das ergibt für die Bank Sinn, da sie an der Verwaltung der Finanzvermögen interessiert ist. In der Armutsdiskussion führt die Methode jedoch zu grobem Unfug. So sollen von den ärmsten 10 Prozent der Welt 17 Prozent Europäer und 10 Prozent Amerikaner sein, aber nur 0,06 Prozent Chinesen.

Zu den Allerärmsten gehören nach dieser Unstatistik mehr Deutsche als Pakistaner oder Bangladesher. Der Investmentbanker, der mit einem 100 000-Dollar-Vertrag von Harvard abgeht, zählt wegen seines Studiendarlehens zu den Ärmsten der Welt, nicht so der syrische Flüchtling, der mit 1000 Dollar nach Europa kommt.

Armut nimmt seit 30 Jahren weltweit stark ab. Zu verdanken ist das der Ausbreitung der Marktwirtschaft und Eigentumsrechten, die Wachstum möglich machten. Was Oxfam politisch bekämpft, befreite Millionen aus bitterster Armut. Ihre Rezepte bieten dagegen Gewähr, dass die Armen auch weiterhin arm bleiben. Die Propaganda hilft ihrer Spendenkasse, aber nicht den Armen dieser Welt.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 24. Januar 2016

Erfolglose Kunden sind treue Kunden

10.1.2016 / Armin Müller

Alle 11 Minuten verliebt sich ein Single über Parship, wie die Datingbörse stolz verkündet. Ist das viel? Eine einfache Rechnung entlarvt die Erfolgsmeldung als Anti-Werbung. Bei 5 Millionen Mitgliedern in Deutschland beträgt die Wahrscheinlichkeit, in einem Jahr den Traumpartner zu finden, nicht mal 2 Prozent, wie Wissenschaftler um den Risikoexperten Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in ihrer «Unstatistik des Monats» berechnet haben.

Kunden enttäuschen ist ein tolles Geschäftsmodell, wenn die Kunden etwas zu sehr wollen. Denn erfolglose Kunden sind treue Kunden. Das weiss auch Swisslos, die flächendeckend damit wirbt, wie das Zahlenlotto Millionäre macht. Die Chance auf einen Volltreffer ist bei zwei Tipps für 5 Franken jedoch verschwindend gering: Sie beträgt 0,0000064 Prozent oder 2 zu 31,5 Millionen. Ökonomen bezeichnen Lotto deshalb als «Idiotensteuer».

Unseren Rechenkünsten verdanken wir es wohl eher nicht, dass die Schweiz zu den reichsten Ländern der Welt zählt. In einem kürzlich durchgeführten Vergleich der Finanzkompetenzen schnitten wir jedenfalls bei der Beantwortung einfacher Fragen zu Zins und Inflation mässig ab, schlechter als die skandinavischen Länder, Israel, Kanada, Grossbritannien oder Deutschland.

Wahrscheinlichkeiten und Risiken kann der Mensch grundsätzlich schlecht einschätzen. Das zeigt sich regelmässig, wenn alarmistische Meldungen über Gesundheitsrisiken die Runde machen. Gerd Gigerenzer fordert deshalb einen Statistikunterricht in der Schule. 

Liebe und Glück werden sich damit zwar nicht erzwingen lassen. Aber Statistik hilft beim Durchschauen von leeren Werbeversprechen, spart Geld und verhilft zu mehr Gelassenheit.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 10. Januar 2016