Handel

Wie der Handel im Internet die Preise drückt

Die Verschwörungstheorie ist nicht totzukriegen: Die Behörden manipulieren den Konsumentenpreisindex, sodass die offizielle Teuerung die wahre Inflation immer unterschätzt. Bis in die frühen 1990er-Jahre waren in der Schweiz Inflationsraten von vier und mehr Prozent üblich. In den letzten zehn Jahren lag die Teuerung dagegen mehrheitlich sogar unter null, die Preise sanken also.

Mit einer Verschwörung hat das nichts zu tun. Billigere und leistungsfähigere neue Produkte kamen auf den Markt, der starke Franken verbilligte die Importe, mehr Wettbewerb verhinderte, dass die Anbieter ihre Preise erhöhen konnten. Das Internet trägt seinen Teil dazu bei. Neue Anbieter können damit einfacher in einen Markt eintreten. Sie haben tiefere Kosten, weil sie auf Ladengeschäfte an teuren Standorten verzichten können. Die Konsumenten können online sehr viel leichter die Preise vergleichen, der günstigere Anbieter ist stets nur einen Klick entfernt. Das erschwert Preiserhöhungen und bevorteilt Billiganbieter.

Eine neue Untersuchung der Ökonomen Austan Goolsbee (Chicago) und Peter Klenow (Stanford) zeigt nun, wie stark das Internet die Preise beeinflusst. Und sie liefert einen Beleg dafür, dass die offizielle Statistik die Inflation nicht unter-, sondern deutlich überschätzt. Die Forscher werteten Preise und Mengen von monatlich über zwei Millionen Onlinekäufen in den USA zwischen 2014 und 2017 aus. Bei den Onlineartikeln – vor allem Lebensmittel, Getränke, Haushaltsartikel, Spielwaren, Elektronik, Möbel und Kleider – lag die Inflation 1,3 Prozent niedriger, verglichen mit der offiziell ausgewiesenen Teuerung in den gleichen Produktkategorien, die über Käufe in stationären Läden gemessen wird.

Die Forscher stellten auch fest, dass neue oder modernisierte Produkte im Internet in sehr hohem Rhythmus auf den Markt kommen. 44 Prozent der beobachteten Onlineprodukte waren im Vorjahr noch nicht auf dem Markt gewesen. Und zwar ohne Berücksichtigung der Kleider, bei denen die Produkterneuerung entsprechend den modischen Trends häufiger erfolgt. Auf der anderen Seite verschwanden aber auch mehr als 20 Prozent der Produkte von einem aufs nächste Jahr aus den Onlineshops.

Das rasche Auftauchen von neuen, verbesserten Produkten hat zur Folge, dass die wahre Teuerung noch zusätzlich überschätzt wird. Bereinigt um die neuen Produkte liegt die Onlineinflation mehr als 3 Prozent tiefer als die offizielle Teuerung.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 15. Juli 2018

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«America first»: Trumps Wähler zahlen zuerst

Donald Trump lässt den Worten Taten folgen. Am Freitag verhängte er neue «Strafzölle» auf chinesische Produkte. Damit will er unfaire Handelspraktiken bekämpfen und Arbeitsplätze schaffen. Trump glaubt – wie viele andere auch –, dass Zölle vor allem ausländische Exporteure belasten. Das ist falsch. Sie schaden in erster Linie den inländischen Konsumenten und Unternehmen. Die Schweizer Zölle von über 100 Prozent auf Fleisch und Milchprodukte zahlen nicht deutsche Bauern, sondern Schweizer Kunden. Denselben Mechanismus bekommen jetzt amerikanische Waschmaschinenkäufer zu spüren. Trumps erste «Strafzölle» trafen Anfang Jahr den Import von Waschmaschinen. Prompt stiegen deren Preise um 17 Prozent. Konsumenten zahlen damit für jeden dank Zollschutz entstandenen Arbeitsplatz ein Mehrfaches dessen, was ein Arbeiter in der Waschmaschinenindustrie verdient.

Falls überhaupt neue Jobs entstehen. Denn jetzt verteuern Trumps Zölle auf Stahl und Aluminium nicht nur Autos und Bierdosen, sondern auch die ohnehin schon teureren Waschmaschinen. Was der Metallindustrie helfen soll, schadet der verarbeitenden Industrie mit etwa zehnmal so vielen Jobs. Was die Amerikaner mehr für Produkte aus Stahl und Alu ausgeben, fehlt ihnen für Güter anderer Branchen – und vernichtet wiederum dort Jobs. Ausserdem gehören die grössten US-Exportfirmen auch zu den grössten Importeuren. Zölle zum Schutz einheimischer Produzenten schaden also ausgerechnet den erfolgreichsten Herstellern, weil sie deren Vorprodukte verteuern und damit den Export der Endprodukte erschweren.

Klar ist, dass Zölle nicht so wirken, wie Trump sich das vorstellt. Offen bleibt, ob die Wähler das rechtzeitig realisieren.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 17. Juni 2018

Nach 88 Jahren wiederholt sich die Geschichte

Die Politiker ignorierten die Warnung, und «die Amerikaner zahlten den Preis», schreiben die Ökonomen und mahnen dringend, «diesen Fehler nicht zu wiederholen». Es gibt nicht viele Fragen, bei denen sich die Fachleute so einig sind wie in der Beurteilung des Protektionismus. Trotzdem droht dem Appell das gleiche Schicksal wie jenem vor 88 Jahren. Der Protektionismus ist nicht ökonomisch motiviert, sondern politisch. Es geht um den Schutz von Branchen und Trumps politisches Kalkül. Dieses Spiel beherrscht aber nicht nur er. Viele, die Massnahmen gegen den Klimawandel mit der Einigkeit der Klimawissenschaftler begründen, ignorieren wissenschaftliche Erkenntnisse, wenn es um Gentechnik geht. Tausende Wissenschaftler, darunter über 100 Nobelpreisträger, brandmarken den Widerstand gegen den von Forschern entwickelten Golden Rice, der Vitaminmangel bekämpft, als Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Politiker bedienen sich im wissenschaftlichen Arsenal mit Munition, wenn sie sich davon Schub für ihre Anliegen versprechen. Wenn die Wissenschaft widerspricht, wird sie ignoriert oder schlechtgemacht.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 6. Mai 2018

Trump bestraft Amerikas Konsumenten

US-Präsident Donald Trump verhängt Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte. «Wenn ein Land viele Milliarden Dollar im Handel mit praktisch jedem Land verliert, mit dem es Geschäfte macht, sind Handelskriege gut – und einfach zu gewinnen», twitterte er am Freitag.

trump

Das ist ein Trugschluss. Erstens ist Handel kein Nullsummenspiel, bei dem einer gewinnt, was der andere verliert. Handel kommt zustande, weil beide Seiten davon profitieren. Ökonomen sind sich selten so einig wie in dieser Frage. Zweitens sind Handelskriege nie gut. Sie verteuern die Produkte, die Konsumenten und Produzenten kaufen. Drittens sind Handelskriege kaum zu gewinnen. Die von den neuen Zöllen betroffenen Länder reagieren mit gezielten Gegenmassnahmen. Beide Seiten verlieren, wie die historische Erfahrung zeigt.

Trump zielt auf China, trifft aber die amerikanischen Konsumenten. Seine Zölle wirken wie eine Steuer, die von der Bierdose über den Kühlschrank bis zum Auto unzählige Produkte verteuert. Was den Arbeitern in der Stahlindustrie helfen soll, schadet der metallverarbeitenden Industrie mit etwa zehnmal so vielen Jobs. Und wenn die Amerikaner mehr für Produkte aus Stahl und Alu ausgeben müssen, haben sie weniger Geld für Güter anderer Branchen zur Verfügung – was dort wiederum Jobs kosten wird.

Diese bittere Erfahrung machten die USA schon mehrfach. 2002 verhängte George W. Bush 30 Prozent Zoll auf chinesischen Stahl. In der Folge verloren wegen der höheren Kosten in der verarbeitenden Industrie mehr Arbeiter ihren Job, als in der gesamten Stahlindustrie beschäftigt waren (hier die Studie als PDF). In den 1980er-Jahren kosteten Zölle die amerikanischen Konsumenten eine Million Dollar für jeden geretteten Stahlarbeiter-Job. Der Schutz von nicht wettbewerbsfähigen Branchen senkt die Arbeitsproduktivität des Landes – und damit das Lohnniveau.

Einfach zu gewinnen ist ein Handelskrieg nur gegen die eigene Bevölkerung.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 4. März 2018

Wo Trump recht hat, hat er recht

Es ist verständlich, dass die USA gegen unfaire Handelspraktiken zurückschlagen. Ob Strafzölle das richtige Mittel sind, ist allerdings fraglich.

Donald Trump schickt seinem Auftritt am WEF eine Grussbotschaft voraus, die zu ihm passt. Die US-Regierung erlässt Zölle auf Importe von Solarzellen und Waschmaschinen. Es ist ein deutliches Signal an die in Davos versammelte Globalisierungselite. Und eine Drohung, dass da noch mehr kommen könnte. In Davos glauben manche, Trump mache bloss Lärm, um seine Wähler zu beeindrucken. Doch es steckt mehr dahinter. Trump glaubt, was er sagt: Amerika muss endlich gegen unfaire Praktiken zurückschlagen. Es ist eine der wenigen Positionen, die er seit 30 Jahren unverändert vertritt.

Und wo Trump recht hat, hat er recht. Die Handelspartner der USA haben dem Präsidenten reichlich Grund für seine Klagen gegeben. Die protektionistischen Massnahmen nahmen in den letzten Jahren stark zu. Der grösste Sünder ist ausgerechnet die G-20, die Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, die sich zur Förderung des Freihandels verpflichteten.

Der chinesische Präsident Xi Jinping hat sich vor einem Jahr in Davos als Verfechter der Globalisierung und Verteidiger des Freihandels aufgespielt. Getan hat er nichts. Denn China steht zu Recht im Fokus von Trumps Kritik. Das Land setzt zwar weniger als früher auf Zölle, Importquoten, technische Handelshemmnisse und eine schwache Währung. Das bevorzugte Mittel sind heute Exportsubventionen, zum Beispiel bei Solarzellen, um chinesischen Unternehmen unfaire Vorteile zu verschaffen. Andere Länder machen es China nach.

Dass Trump dagegen vorgeht, ist richtig. Das Problem ist die Wahl der Mittel. Trump wäre nicht Trump, wenn er den Konflikt innerhalb der Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) zu lösen versuchte. Er sucht den Sieg über den Kampf. Aber mit Zöllen schadet er nicht nur den amerikanischen Kunden. Seine einseitigen Massnahmen werden Gegenreaktionen provozieren. China wird Zug um Zug kontern. Und Konflikte, bei denen beide Seiten Stärke demonstrieren wollen, eskalieren nur allzu leicht. Das wäre ein fataler Schlag für eine Weltwirtschaft, die sich erholt und endlich wieder richtig wächst.

Dieser Beitrag erschien zuerst im Tages-Anzeiger vom 24. Januar 2018

Das Monopoly-Prinzip

Im letzten Moment hat die EU doch noch die Kurve gekriegt. Das Handelsabkommen Ceta zwischen Kanada und der EU wird heute in Brüssel unterzeichnet. Der TTIP-Vertrag mit den USA ist dagegen kaum mehr zu retten. Auch in der Schweiz werden Handelsabkommen zunehmend als Bedrohung wahrgenommen.

In Europa wie in den USA schwindet das Vertrauen in die wohlstandsfördernde Wirkung des Handels. Stattdessen sehen viele das Monopoly-Prinzip verwirklicht: Am Schluss des Spiels gehört dem Sieger alles, die Verlierer sind bankrott.

Die Erfinderin des Spiels, Elizabeth Magie, wollte damit 1904 die Erkenntnisse des Sozialreformers und Philosophen Henry George verbreiten: dass Monopole und die Bodenrenten der Grundbesitzer zu Armut der Besitzlosen führen. An die Stelle von Steuern auf Arbeit oder produktiven Investitionen wollte George eine Bodenwertsteuer setzen.

Das simple Prinzip des Spiels hat Monopoly zu einem weltweiten Dauererfolg verholfen. Es hat aber auch die intuitive Vorstellung bestärkt, die Wirtschaft sei ein Nullsummenspiel: Was der eine gewinnt, verliert der andere; Ausländer nehmen Einheimischen die Arbeit weg und wenn wir vom Freihandel profitieren, müssen andere deswegen verlieren.

Kinder schmeissen wütend das Brett vom Tisch, wenn sie wieder mal auf Zürich Paradeplatz landen. Aber das Spiel ist nicht die Wirklichkeit. Niemand muss am Paradeplatz einkehren, und Handel gibt es nur, wenn beide Seiten einen Vorteil haben. Die These vom Nullsummenspiel wird seit Jahrhunderten widerlegt. Der Austausch von Gütern und Ideen hat Prosperität und Fortschritt erst ermöglicht. Auch Henry George war deshalb für Freihandel. Leider war er mit seinen Sozialreformen nicht so erfolgreich wie das Spiel.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 30. Oktober 2016