Monat: Mai 2016

Falscher Roboter-Alarm

29.5.2016 / Armin Müller

47 Prozent, fast die Hälfte aller Jobs, könnten bald von Maschinen erledigt werden. Mit diesem Resultat ihrer Untersuchung des US-Arbeitsmarktes erregten zwei Forscher der Universität Oxford vor knapp drei Jahren enormes Aufsehen. Die berühmte Oxford-Studie fehlt seither in keiner Debatte um die Zukunft der Arbeit. In einer Zeit steigender Arbeitslosigkeit und wachsender Ungleichheit fallen ihre Argumente auf fruchtbaren Boden.

Die Angst vor den stellenfressenden Robotern ist heute weit verbreitet. Am 30. April tanzten Befürworter der Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen als Roboter verkleidet durch die Zürcher Bahnhofstrsasse. Ihre Botschaft: «Das Grundeinkommen ist die Antwort auf die Digitalisierung.»

In einer Untersuchung der OECD beanstanden nun drei Forscher methodologische Mängel der Oxford-Studie. Diese untersuchte Beschäftigungen ohne zu beachten, dass in vielen vergleichbaren Jobs sehr unterschiedliche Aufgaben und Tätigkeiten verlangt werden. So besteht oft ein erheblicher Teil der Arbeit aus interaktiven, nicht routinemässigen Tätigkeiten, die kaum automatisierbar sind. So sind gemäss Oxford-Studie 98 Prozent der Buchhalter-Jobs automatisierbar. Aber gemäss OECD können nur 24 Prozent dieser Angestellten ihre Aufgaben ohne Teamwork und ohne persönliche Kontakte erfüllen.

Die Fokussierung auf konkrete Tätigkeiten statt auf Berufe führt zu ganz anderen Schlüssen. Statt 47 Prozent wie in der Oxford-Studie sind gemäss OECD nur 9 Prozent der Beschäftigungen automatisierbar. Den tiefsten Anteil an automatisierbaren Jobs weist Südkorea mit 6 Prozent auf, den höchsten Österreich und Deutschland mit 14 respektive 13 Prozent. Die Schweiz wurde nicht untersucht. Überall tragen die schlecht qualifizierten Arbeitskräfte die Hauptlast der Automatisierungsfolgen. Das Fazit lautet deshalb ganz anders als jenes der Grundeinkommensbefürworter. Staat und Wirtschaft sollten sich auf Bildung, Umschulung und Qualifizierung konzentrieren, statt eine Rente für alle einzuführen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 29. Mai 2016

Goldverkäufe vor dem ­Lichterlöschen

16.5.2016 / Armin Müller

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Quelle: EZV

Die Schweizer Zollstatistik ­erregt derzeit weltweit Auf­sehen. Knapp 60 Tonnen Gold im Wert von 2,2 Milliarden Franken exportierte Venezuela allein in den ersten drei Monaten des Jahres in die Schweiz. Das ist zweieinhalb mal so viel wie im ganzen letzten Jahr und fünfmal so viel wie 2014. Das Gold stammt von der venezolanischen Zentralbank. Das Land steht vor dem Staatsbankrott und braucht Devisen, um Importe zu finanzieren und Schulden zu begleichen. In Caracas lässt sich das Gold aber nicht verflüssigen, da dessen Reinheit nicht garantiert ist und es nicht als Pfand akzeptiert wird, solange es in der Verfügungsgewalt der Regierung steht. Deshalb wird es in Schweizer Goldschmelzen umgegossen.

Die Landeswährung wurde 2008 in Bolivar fuerte (stark) um­getauft. Aber selbst die grösste Banknote reicht nicht mal mehr für ein Bier an der Bar. Toilettenpapier, Medikamente – es fehlt an allem. Gegen die Stromknappheit empfiehlt der Präsident, Frauen sollten aufs Haareföhnen verzichten. Nun werden sogar die Banknoten knapp. Die Zentralbank bestellte im letzten Jahr 15 Milliarden neue Scheine. Doch die Lieferungen verzögern sich, weil die ausländischen Notendrucker nicht rechtzeitig bezahlt wurden. ­Unabhängige Experten schätzen die Inflation auf 290 Prozent. Die Preise verdoppeln sich also alle drei Monate. Mit Enteignungen, staatlichen Vorgaben und rigiden Preiskontrollen verursacht die ­Regierung die Knappheit, die sie zu bekämpfen vorgibt.

Hyperinflation ist in der Regel eine Begleiterscheinung von Krieg und Staatskollaps, wie die Geschichte zeigt. Aber nach Zimbabwe liefert Venezuela ein ­neues Beispiel dafür, dass auch ­verantwortungslose Regierungen Hyperinflation erzeugen können. Hugo Chávez und sein Nach­folger Nicolás Maduro haben Vene­zuela mit ihrem «Sozialismus des 21. Jahrhunderts» ruiniert. Das Land mit den weltweit grössten Erdölvorkommen hat in wenigen Jahren die Hälfte seiner Gold­reserven verscherbelt. Den Venezolanern bleibt nur schwarzer ­Humor: Womit machten die Sozialisten Licht, bevor sie Kerzen hatten? Antwort: mit Elektrizität.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 15. Mai 2016

Wenn Kapuzineräffchen menscheln

2.5.2016 / Armin Müller

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Kapuzineraffe, Costa Rica, von David M. Jensen (Storkk) (Eigenes Werk) (cc-by-sa-3.0)

Herzig sehen sie aus, die Kapuzineräffchen. Nichts Böses traut man ihnen zu. Doch die Primaten bergen ungeahnt menschliche Züge, wie drei Forscherinnen der Universitäten Yale und Harvard in einem Experiment zeigten. Die Forscherinnen deponierten Futter auf einem präparierten Tisch im Gehege eines Affen. Durch Ziehen eines Seils konnten andere Affen den Tisch zum Einsturz bringen und das Futter in einem Behälter verschwinden lassen. Während Schimpansen nur aus Rache handelten, wenn ein Affe zum Beispiel das Futter geklaut hatte, bestraften die Kapuzineraffen einfach so. Es genügte, dass der andere Affe mehr Futter hatte als sie selbst. Nach dem Motto «Was ich nicht haben kann, soll auch kein anderer kriegen», schnitten sie sich ins eigene Fleisch, um anderen zu schaden.

Diese Art von Bosheit glaubte man bisher nur dem Menschen eigen. Doch die Neigung zum Bestrafen gründet offenbar tiefer als bisher gedacht. Die Abneigung gegen Ungleichheit möglicherweise auch. So zeigten Verhaltensökonomen, dass sich der Mensch selbst schadet, um andere zu bestrafen und so die Einhaltung sozialer Normen wie Fairness zu erzwingen. Eine andere Theorie besagt, dass sich der Mensch zu diesem Zweck strafende Götter ausgedacht hat. Sie sorgen für die Einhaltung der Spielregeln, wenn niemand hinschaut.

Beide Erklärungen sind nicht sehr populär. Nur die Hälfte der Schweizer Wohnbevölkerung glaubt an Gott, wie das Bundesamt für Statistik kürzlich meldete. Und dass die Evolutionstheorie die schlüssigste Erklärung für den Ursprung des Menschen liefert, glauben auch nur 55 Prozent.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 1. Mai 2016