Altersvorsorge

Soll man die AHV-Reform annehmen?

 

Am 24. September stimmen wir über die Altersvorsorge 2020 ab. Für manche ist sie die dringend nötige Korrektur – für andere nur die Verschiebung des Problems.

Arthur Rutishauser sagt: Ja

Ich sage: Nein.

20 Jahre nach der letzten Reform und nach zwei gescheiterten Anläufen stimmen wir am 24. September über die Altersvorsorge 2020 ab. Die aktuelle Reform sollte das Rentenniveau sichern, die AHV-Finanzen ins Gleichgewicht bringen und die finanzielle Situation der Pensionskassen verbessern. Gemessen an diesen Zielen, ist der Begriff «Reform» zu hoch gegriffen.

Im Wesentlichen verschiebt die Vorlage die Probleme in die Zukunft. Das Rentenniveau bleibt für die heutigen Rentner und für die Übergangsgeneration mit Jahrgang 1973 und älter zwar erhalten. Aber die Kosten werden auf die Jüngeren abgeschoben. Sie werden bis zur Pension ein Vielfaches ihrer eigenen Rente finanzieren müssen.

Das Ziel, die AHV-Finanzen ins Gleichgewicht zu bringen, wird verfehlt. Obschon die Stimmbevölkerung letztes Jahr einen AHV-Ausbau deutlich abgelehnt hat, soll diese durch die 70 Franken pro Monat mit der Giesskanne verteilt werden. Jenen mit den tiefsten Einkommen bringt das nichts, die Gutverdienenden brauchen es nicht. Schon 2027 rechnet das Bundesamt für Sozialversicherungen bei Annahme der Vorlage wieder mit einem negativen Umlageergebnis in Milliardenhöhe. Und das unter der Annahme einer jährlichen Nettozuwanderung von 60 000 Personen und einem Lohnwachstum von 1,9 Prozent pro Jahr. Beides erscheint recht optimistisch.

Die Senkung des Umwandlungssatzes in der zweiten Säule ist dringend. Aber auch hier löst die Vorlage das Problem nicht, sondern bremst nur das Tempo, mit dem die Pensionskassen in die finanzielle Schieflage abrutschen. Auch mit dem gesenkten Umwandlungssatz werden sich die Rentner in der zweiten Säule nicht selbst finanzieren können, sie müssen weiterhin von den Erwerbstätigen quersubventioniert werden. Diese Umverteilung wird durch die Vorlage nicht beseitigt, nur etwas reduziert. Die Lücken bei den Jüngeren werden dafür immer grösser.

Die Renten sind abhängig von Lebenserwartung und Kapitalrendite, beide kann die Politik nicht beeinflussen. Die gesetzliche Fixierung des Umwandlungssatzes gleicht dem Vorhaben, die Fallgeschwindigkeit gesetzlich festzulegen: Wir schlagen deshalb in der Schweiz nicht weniger hart auf dem Boden auf, wenn wir aus dem Fenster stürzen. Die Renten lassen sich letztlich nur sichern, wenn wir mehr einzahlen, die Leistungen senken oder das Rentenalter an die Lebenserwartung koppeln. Die aktuelle Vorlage beschränkt sich auf Beitrags- und Steuererhöhungen.

Auch eine schlechte Reform ist besser als gar keine Reform, sagen die Befürworter. Es ist ihr stärkstes Argument. Aber damit sollten wir uns nicht zufriedengeben.

Dieser Beitrag erschien zuerst im Tages-Anzeiger vom 2. September 2017

Was für einMurks! Das können wir doch besser

Es war kein grosser Wurf, den Alain Berset im November 2014 als Reform der Altersvorsorge präsentierte. Aber was das Parlament nun daraus gemacht hat, bleibt noch hinter dem Bundesratsvorschlag zurück. Man kann es nur als Murks bezeichnen.

Das Ziel der Reform war die Sanierung der AHV, die Stabilisierung der beruflichen Vorsorge und die Erhaltung des Rentenniveaus. Stattdessen wird nun die AHV ausgebaut, die Kosten werden auf künftige Generationen abgeschoben. Neu gibt es zwei Klassen von Rentnern. Wer nach der Reform pensioniert wird, erhält 70 Franken pro Monat mehr. Die heutigen Rentner kriegen: nichts. Wäre es wirklich um die soziale Frage gegangen, hätte man besser die Minimalrenten erhöht.

Die Babyboomer, die in Politik und Wirtschaft an den Schalthebeln sitzen, nie eine grosse Krise erlebt haben und für weniger Kinder sorgen mussten als ihre Elterngeneration, haben sich den Besitzstand gesichert. Nach uns die Sintflut.

Das ist keine Reform, es ist ein Hinausschieben des Problems. «Besser als nichts» ist das überzeugendste Argument für die Vorlage. Vielleicht genügt es, um die Volksabstimmung zu gewinnen.

Aber wir sollten uns nicht damit zufrieden geben. Die Schweiz hat es in den vergangenen Jahrzehnten geschafft, auch grosse Probleme zu lösen. Manchmal brauchte es etwas länger, aber unser demokratisches System zeichnete sich durch eine hohe Reformfähigkeit aus. Sie scheint heute gefährdet. Bei den für die Zukunft des Landes zentralen Themen Altersvorsorge, Unternehmenssteuern, Gesundheitswesen oder Energie droht der Stillstand.

Unser dreisäuliges Altersvorsorgesystem, um das uns das Ausland beneidet, lässt sich nur für weitere Generationen bewahren, wenn wir nicht weiter so tun, als ob wir die Kapitalmarktrenditen per Gesetz festlegen könnten und wenn wir das Rentenalter an die steigende Lebenserwartung anpassen. Ist es tatsächlich unzumutbar, für jeden Monat mehr Lebenserwartung das Rentenalter um einen Monat hinauszuschieben? Schweden, Dänemark oder die Niederlande – durchaus Gesellschaften mit hohem sozialen Anspruch – haben es geschafft, das Rentenalter in kleinen Schritten zu erhöhen und an die steigende Lebenserwartung zu koppeln.

Es gibt keinen Grund, warum wir das nicht auch schaffen sollten. Nach der Reform ist vor der Reform.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 19.3. 2017

Die AHV ist zu alt geworden

Mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung kommt ein Schweizer heute auf gut 700 000 Lebensstunden. Davon arbeitet er effektiv etwa 40 Jahre à 1700 Stunden. Das ergibt also etwa 70 000 Stunden – rund 10 Prozent der Lebenszeit. Mit so wenig effektiver Arbeitszeit finanziert er alles, was er braucht, auch die Rente für die mittlerweile mehr als 20 Jahre als Pensionär.

Das sei eine «riesige Errungenschaft», meinte Maurice Pedergnana, Wirtschaftsprofessor in Luzern, an einer Podiumsdiskussion des «Schweizer Monats». Man solle doch bitte nicht über die Beitragslast jammern. Tatsächlich hätten sich unsere Vorfahren nie träumen lassen, dass man jemals mit so wenig Arbeitsaufwand so viel Freizeit würde finanzieren können.

In der Auseinandersetzung um die Altersvorsorge 2020 interessieren solche Rechnungen nicht. Jammern und Klagen scheint so ziemlich das Einzige zu sein, worin die verschiedenen Parteien übereinstimmen. Das Ziel der Reform war die Wahrung des Rentenniveaus und die finanzielle Sicherung der 1. und 2. Säule bis 2030.

Weil wir zum Glück immer älter werden, weil die geburtenstarken Jahrgänge ins Pensionsalter kommen und weil die Finanzmärkte als dritter Beitragszahler seit Jahren nur noch spärlich Rendite liefern, wird die Rechnung immer teurer. Seit Einführung der AHV wächst die durchschnittliche Lebenserwartung jedes Jahr um rund 100 Tage, aber eine Diskussion über eine allmähliche Anpassung des Rentenalters scheint nach wie vor unmöglich.

Weder der Vorschlag des Ständerats noch jener des Nationalrats stellt die Altersvorsorge auf eine sichere Basis. Nach der aktuellen Gesetzeslage werden alle heute lebenden Jahrgänge in ihrem restlichen Lebensverlauf mehr Leistungen von der AHV beziehen als einzahlen. Die jetzt diskutierten Reformvorschläge ändern daran nur wenig: Alle ab 25 werden über ihre Lebenszeit hinweg mehr Leistungen beziehen, als sie einzahlen. Die Reform bringt also höchstens Stückwerk, ein Ausbessern der gröbsten Schäden. Und letztlich geht es vor allem darum, wer schliesslich die Rechnung zahlt.

Die heutigen Rentner haben zwar oft Angst vor Rentenkürzungen, aber sie sind die einzigen, die auf der sicheren Seite stehen. Ihre Renten werden nicht angetastet. Die Babyboomer der Jahrgänge 1955 bis 1964 (zu denen ich auch gehöre) sitzen in Politik und Wirtschaft an den Schalthebeln und sind ein Machtfaktor an der Urne. Sie werden weitgehend geschont.

Die Hauptlast tragen folglich die Jungen. Sie interessieren sich noch kaum für die Altersvorsorge und haben politisch wenig Gewicht. Gar keine Lobby haben die noch ungeborenen Generationen. Da fällt es noch leichter, ungedeckte Checks auszustellen.

Die Politiker reden zwar viel von Nachhaltigkeit. In der Altersvorsorge halten sie sich aber lieber an das bewährte Prinzip «Nach uns die Sintflut».

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 5. März 2017