Ungleichheit

SP und Juso gegen die Realität

Die Sozialdemokratische Partei unterstützt die 99%-Initiative der Juso. Das hat die Delegiertenversammlung gestern in Olten mit 138 Ja- zu 17 Nein-Stimmen entschieden. Die Initiative fordert, Erträge aus Kapital anderthalbmal so stark wie Arbeitseinkommen zu besteuern. Begründet wird das mit zunehmender Ungleichheit, die Reichen würden reicher und die Armen immer ärmer.

Dabei lässt sich die Partei, die immer noch den Kapitalismus überwinden will, ihre ideologische Sicht durch die Realität nicht trüben. Denn abgesehen davon, dass es ohne Ersparnisse keine Investitionen und damit auch keine steigenden Löhne geben kann und dass wirtschaftlich erfolgreiche Länder wie Norwegen, Schweden, Dänemark, Deutschland oder die Niederlande mit guten Gründen Kapitaleinkommen tiefer als Arbeitseinkommen besteuern: Die Behauptung der Juso-Initiative ist schlicht falsch.

Betreffend Einkommens- und Vermögensverteilung ist die Schweiz seit 80 Jahren geradezu ein Hort der Stabilität. Unter vergleichbaren entwickelten Ländern ist das Lohngefälle nirgends so gering. Gemessen an den Konsumausgaben hat sich der tatsächlich realisierte Lebensstandard seit 2006 «primär bei den Einkommensschwächeren» erhöht, stellte das Bundesamt für Statistik vor einem Monat fest.

Die Lohnquote, der Anteil der Löhne am Bruttoinlandprodukt (BIP), ist mit 59,4 Prozent auf den höchsten Stand seit 1990 gestiegen. Entsprechend ist der Anteil der Unternehmensgewinne vor allem als Folge des Frankenschocks auf den tiefsten Wert seit 1990 gefallen. SP und Gewerkschaften argumentieren, man dürfe die Lohnquote nicht am BIP messen, sondern am Volkseinkommen. Das ändert jedoch nichts am Ergebnis: Der Anteil der Löhne war nur einmal, 2008, höher als heute.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 15. Oktober 2017

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Superreiche Steuersünder

«Die reichsten 320 Familien in Dänemark verstecken 60 Milliarden in Steueroasen», meldete das dänische Radio am Montag. Die Geschichte verbreitete sich blitzschnell im Land. Aber am Mittwoch nahm sie das Radio vom Netz und entschuldigte sich: Die Journalisten hatten aus einer neuen Studie unzulässige Schlussfolgerungen gezogen (hier).

Die Studie hat es trotzdem in sich (PDF hier). Die Ökonomen von drei Universitäten in Norwegen, Dänemark und den USA werteten Material aus zwei grossen Datenlecks der jüngeren Vergangenheit aus: die Kundenliste der HSBC Schweiz, die der Mitarbeiter Hervé Falciani gestohlen und den Steuerbehörden mehrerer Länder übergeben hatte, und die Panama Papers, eine riesige Dokumentensammlung zu den Briefkastenfirmen der panamaischen Kanzlei Mossack Fonseca, die ein internationales Journalistenkonsortium, darunter auch das Recherchedesk der SonntagsZeitung, vor einem Jahr enthüllt hatte (hier).

Um das Ausmass der Steuerhinterziehung zu schätzen, kombinierten die Forscher diese Daten mit amtlichen Einkommens- und Vermögensdaten sowie mit Ergebnissen von Steuerprüfungen und Steueramnestien aus Norwegen, Schweden und Dänemark. Ihre Erkenntnisse: Im Durchschnitt hinterziehen Skandinavier 2,9 Prozent der geschuldeten Steuern. Aber die reichsten 0,01 Prozent der Bevölkerung – das sind Haushalte mit mehr als 40 Millionen Franken Nettovermögen – hinterziehen massiv, nämlich rund 30 Prozent ihrer Steuern.

Steuerhinterziehung-Zucman

Damit werden die offiziellen Statistiken über die Vermögensungleichheit relativiert. Denn diese beruhen auf Steuerstatistiken. Weil aus lateinamerikanischen, asiatischen und vielen europäischen Ländern mehr Gelder in Steueroasen gehalten werden, vermuten die Forscher, dass das Ausmass der Steuerhinterziehung dort weit grösser ist als in dem von ihnen untersuchten Skandinavien. Für die Schweiz gibt es keine harten Daten. Grobe Schätzungen gehen davon aus, dass 10 bis 20 Prozent der Vermögen hinterzogen werden.

Der bekannteste Autor der Studie ist Gabriel Zucman, ein Schüler des Ungleichheitsforschers Thomas Piketty. In der Schweiz sorgte er 2013, mitten in der Auseinandersetzung um das Bankgeheimnis, für Aufsehen. Etwa 8 Prozent des weltweiten privaten Finanzvermögens – rund 5900 Milliarden Euro – würden in Steueroasen gehalten, drei Viertel davon seien nicht versteuert, schrieb er Ende 2013 in seinem Buch «Steueroasen. Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird». Er forderte scharfe Sanktionen, zum Beispiel hohe Strafzölle gegen die Schweiz. Seine Berechnungen waren allerdings umstritten.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 4. Juni 2017

Fairness ist wichtiger als Gleichheit

Schon Kinder zeigen eine Abneigung gegen Ungleichheit. Wenn Dreijährige Spielzeug oder Süssigkeiten unter anderen Kindern verteilen, geben sie allen gleich viel. Sechsjährige schmeissen lieber Überzähliges weg, als dem einen mehr zu geben als dem andern. Tausende Studien bestätigen diese Ungleichheitsaversion, bei Gross und Klein, in verschiedenen Ländern und Kulturen.

Seit dem Bestseller von Thomas Piketty («Kapital im 21. Jahrhundert») ist Ungleichheit in den reichen Ländern zum Dauerthema geworden. In den Schweizer Medien hat sich die Zahl der Beiträge dazu verdoppelt. Trotzdem ist Umverteilung nicht populärer geworden. Selbst in den USA nicht, wo die Zahlen einen steilen Anstieg der Ungleichheit belegen. Zahlreiche Studien zeigen, dass Ungleichheit an sich die Menschen nicht gross zu kümmern scheint. Fragt man sie nach ihren Vorstellungen, wie Ressourcen verteilt sein sollten, ziehen sie eine ungleiche Gesellschaft vor.

Wie kann das sein, wo doch die Abneigung gegen Ungleichheit angeboren und universell sein soll? Diesen Widerspruch versuchen Forscher der Universität Yale in einer kürzlich veröffentlichten Studie zu klären. In Laborexperimenten erscheint die Gleichverteilung als fair, weil die Empfänger sich nach Bedürftigkeit oder Leistung nicht unterscheiden. In der realen Welt tun sie das aber, und deshalb erscheint eine Gleichverteilung als unfair. Die Forscher finden keine Hinweise dafür, dass die Menschen sich an wirtschaftlicher Ungleichheit an sich stören.

Was sie tatsächlich empört, ist Unfairness. Wenn Fairness und Gleichheit in Konflikt geraten, bevorzugen sie eine faire gegenüber einer gleichen Verteilung. Die politische Bewirtschaftung der Ungleichheit läuft ins Leere, weil sie nicht das bekämpft, was die Menschen wirklich stört. Sie vermag mehr Umverteilung nicht überzeugend zu begründen. Politische Durchschlagskraft haben jedoch Forderungen, die sich gegen die Verletzung von Fairnessregeln wenden. Die Debatte um exorbitante Boni wird deshalb nicht so schnell verschwinden.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 14. Mai 2017

Alle Jahre wieder: Humbug am WEF

Schon wieder treffen sich die Reichen und Mächtigen am World Economic Forum (WEF) in Davos, um «den Zustand der Welt zu  verbessern», wie die Organisation behauptet. Und wieder nutzt der Hilfswerkverbund Oxfam die Bühne für seinen Werbeauftritt. Um die öffentliche Aufmerksamkeit wach zu halten, steigert Oxfam Jahr für Jahr die Dramatik.  2014 rechnete sie vor, die 85 Reichsten der Welt besässen so viel Vermögen wie die Hälfte der Menschheit zusammen. 2015 waren es demnach schon die 62 Reichsten und dieses Jahr sollen bereits die acht Reichsten mehr besitzen als die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung.

Für ihren Vergleich mixt Oxfam den «Global Wealth Report» der Credit Suisse mit der Milliardärsliste von «Forbes». Die acht Superreichen besitzen zusammen Vermögenswerte von schätzungsweise 426 Milliarden Franken, zumeist in Form von Aktien ihrer Unternehmen. Das sind 0,17 Prozent des geschätzten Weltvermögens. Die Credit Suisse (CS) arbeitet mit Nettovermögen, also Ersparnissen abzüglich Schulden. Das ergibt für die Bank Sinn, da sie an der Verwaltung der Finanzvermögen interessiert ist. Aus dem Addieren von Schulden und Vermögen kann die CS Rückschlüsse auf ihr Marktpotenzial ziehen, aber es lassen sich keine sinnvollen Aussagen über Armut ableiten.

Die Methode führt stattdessen zu unsinnigen Aussagen: So sind  von den ärmsten zehn Prozent der Welt 13,7 Prozent Europäer, aber nur 12,6 Prozent Chinesen und nur 9,3 Prozent Lateinamerikaner. Zu den Allerärmsten dieser Welt gehören nach dieser Unstatistik mehr Deutsche als Türken, Kongolesen, Ägypter oder Philippinos.

Zu den Ärmsten dieser Welt gehören nach dieser absurden Logik der Schweizer, der nichts auf dem Konto hat und sein Auto auf Kredit kauft, genauso wie der amerikanische Investmentbanker, der mit einem 100’000-Dollar-Vertrag von Harvard abgeht und sein Studiendarlehen noch nicht abgezahlt hat. Nicht zu den Ärmsten zählt dagegen der syrische Flüchtling, der mit ein paar Tausend Dollar nach Europa kommt.

Der «Global Wealth Report» der Credit Suisse ist auch aus einem anderen Grund nicht geeignet für Aussagen über Armut und Ungleichheit. Internationale Organisationen und Ökonomen rechnen für solche Vergleiche mit Kaufkraftparitäten, um die unterschiedliche Kaufkraft im jeweiligen Land zu berücksichtigen. Die Credit Suisse rechnet dagegen die Währungen einfach zu den aktuellen Kursen in Dollar um. Das genügt für eine Bank, die an den Finanzvermögen von Anlegern interessiert ist, aber sicher nicht für Vergleiche, wie sie Oxfam anstellt. Die Aufwertung des Dollar hat die Vermögen in den USA auf- und jene in den ärmeren Ländern abgewertet. Über die Entwicklung der Ungleichheit sagt das nichts aus.

Man könnte über den Humbug hinwegsehen, wenn es nicht um so etwas Wichtiges wie die Bekämpfung der Armut ginge. Auf einer unbrauchbaren Datengrundlage lässt sich keine gute Politik aufbauen. Armut nimmt seit 30 Jahren weltweit stark ab, genau so wie die globale Ungleichheit. Zu verdanken ist das der zunehmenden Verbreitung von Freiheitsrechten und dem Zugang zu Märkten, die Wachstum möglich machten. Was Oxfam politisch bekämpft, befreite Millionen aus bitterer Armut. Die Propaganda hilft wohl ihrer Spendenkasse, aber nicht den Armen dieser Welt.

Zum Glück hängt die Verbesserung der Welt nicht von den grossen Sprüchen am WEF ab, sondern von Menschen, die ihre Freiheit nutzen.

Seriöse Daten über den Zustand der Welt und die bisher erzielten Fortschritte finden Sie übrigens in Online-Datenbanken wie Gapminder oder Ourworldindata.

Wenn Kapuzineräffchen menscheln

2.5.2016 / Armin Müller

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Kapuzineraffe, Costa Rica, von David M. Jensen (Storkk) (Eigenes Werk) (cc-by-sa-3.0)

Herzig sehen sie aus, die Kapuzineräffchen. Nichts Böses traut man ihnen zu. Doch die Primaten bergen ungeahnt menschliche Züge, wie drei Forscherinnen der Universitäten Yale und Harvard in einem Experiment zeigten. Die Forscherinnen deponierten Futter auf einem präparierten Tisch im Gehege eines Affen. Durch Ziehen eines Seils konnten andere Affen den Tisch zum Einsturz bringen und das Futter in einem Behälter verschwinden lassen. Während Schimpansen nur aus Rache handelten, wenn ein Affe zum Beispiel das Futter geklaut hatte, bestraften die Kapuzineraffen einfach so. Es genügte, dass der andere Affe mehr Futter hatte als sie selbst. Nach dem Motto «Was ich nicht haben kann, soll auch kein anderer kriegen», schnitten sie sich ins eigene Fleisch, um anderen zu schaden.

Diese Art von Bosheit glaubte man bisher nur dem Menschen eigen. Doch die Neigung zum Bestrafen gründet offenbar tiefer als bisher gedacht. Die Abneigung gegen Ungleichheit möglicherweise auch. So zeigten Verhaltensökonomen, dass sich der Mensch selbst schadet, um andere zu bestrafen und so die Einhaltung sozialer Normen wie Fairness zu erzwingen. Eine andere Theorie besagt, dass sich der Mensch zu diesem Zweck strafende Götter ausgedacht hat. Sie sorgen für die Einhaltung der Spielregeln, wenn niemand hinschaut.

Beide Erklärungen sind nicht sehr populär. Nur die Hälfte der Schweizer Wohnbevölkerung glaubt an Gott, wie das Bundesamt für Statistik kürzlich meldete. Und dass die Evolutionstheorie die schlüssigste Erklärung für den Ursprung des Menschen liefert, glauben auch nur 55 Prozent.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 1. Mai 2016

Humbug mit Zahlen

24.1.2016 / Armin Müller

Alle Jahre wieder treffen sich im Januar die Reichen und Mächtigen in Davos, um «den Zustand der Welt zu verbessern». Alle Jahre wieder nutzt die Entwicklungsorganisation Oxfam das World Economic Forum für ihre Spendenwerbung. Und alle Jahre wieder macht ihr Zahlen-Humbug weltweit Schlagzeilen. Die 62 reichsten Personen der Welt besässen so viel Vermögen wie die Hälfte der Menschheit zusammen, behauptet Oxfam. Tatsächlich kommen die 62 aber nur auf 0,7 Prozent des Weltvermögens. Das bringt jedoch keine Schlagzeile.

Dazu braucht es einen Trick. Für ihren Vergleich mixt Oxfam das «Global Wealth Databook» der Credit Suisse mit der Milliardärsliste von «Forbes». Die Credit Suisse arbeitet mit Nettovermögen, also Ersparnissen abzüglich Schulden. Das ergibt für die Bank Sinn, da sie an der Verwaltung der Finanzvermögen interessiert ist. In der Armutsdiskussion führt die Methode jedoch zu grobem Unfug. So sollen von den ärmsten 10 Prozent der Welt 17 Prozent Europäer und 10 Prozent Amerikaner sein, aber nur 0,06 Prozent Chinesen.

Zu den Allerärmsten gehören nach dieser Unstatistik mehr Deutsche als Pakistaner oder Bangladesher. Der Investmentbanker, der mit einem 100 000-Dollar-Vertrag von Harvard abgeht, zählt wegen seines Studiendarlehens zu den Ärmsten der Welt, nicht so der syrische Flüchtling, der mit 1000 Dollar nach Europa kommt.

Armut nimmt seit 30 Jahren weltweit stark ab. Zu verdanken ist das der Ausbreitung der Marktwirtschaft und Eigentumsrechten, die Wachstum möglich machten. Was Oxfam politisch bekämpft, befreite Millionen aus bitterster Armut. Ihre Rezepte bieten dagegen Gewähr, dass die Armen auch weiterhin arm bleiben. Die Propaganda hilft ihrer Spendenkasse, aber nicht den Armen dieser Welt.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 24. Januar 2016