Sein Wahlkampf war unkonventionell, seine Phase als gewählter Präsident ebenso. Donald Trump liess bis zum Amtsantritt nie den Verdacht aufkommen, an seinem Stil würde sich etwas ändern. Doch bis jetzt war nur sein Showtalent gefragt, und davon hat er im Überfluss. Ab sofort ist Substanz gefragt. Hier herrscht noch Mangel.
Die weltweiten Demonstrationen und vor allem der Marsch von Hunderttausenden von Frauen sollten dem neuen Präsidenten zu denken geben. Sie trauen ihm nichts zu, es sei denn alles Böse. Aber er wird keinen Finger rühren, sie zu besänftigen. Denn sie liefern den Treibstoff für seinen Kampf. Die Bilder von Demonstranten, die gegen einen gewählten Präsidenten wüten, bestärkt seine Anhänger nur in ihrer Überzeugung, dass die Wahl Trumps nötig war.
Je lauter die Empörung in Washington – für seine Anhänger ist es das «Herz des Bösen» –, desto besser für Trump. Denn dass er der kosmopolitischen Elite und dem Washingtoner Establishment in seiner Antrittsrede keine Konzessionen machte, stärkt sein Ansehen bei seinen Wählern nur. Er kann von diesem Widerstand nur profitieren, ja er braucht ihn geradezu für seine Heldengeschichte. Der Widerstand macht ihn erst stark. Denn ohne böse und übermächtige Gegner gibt es keinen Helden. «Ich bin gekommen, um euch die Macht zurückzugeben», verspricht der Held seinen Anhängern. Es war die zentrale Aussage seiner Rede. Er baut damit fleissig an seinem Heldenimage.
Statt Empörung ist jetzt nüchterne Analyse gefragt. Erhält die ländliche Bevölkerung tatsächlich mehr Einfluss? Gibt es wieder mehr Industriejobs? Wächst die Wirtschaft schneller? Steigen die Einkommen der einfachen Leute? Werden Brücken, Flughäfen und Strassen erneuert? Steigen die amerikanischen Exporte? Sinkt das Budgetdefizit? Verbessert sich die Gesundheitsversorgung der einfachen Bevölkerung? Kommen weniger Immigranten ins Land? Bringen die US-Firmen ihre internationalen Gewinne zurück nach Amerika? Wird die überbordende Regulierung abgebaut?
Nur was Trump hier erreicht, zählt für seine Wähler. Wenn er hier versagt, können ihn seine Gegner entzaubern. Wer aber glaubt, Trump mit Stilkritik und Demonstrationen aufhalten zu können, ist ihm in die Falle gegangen und hat noch nicht realisiert, dass er mitbaut an Trumps Heldenimage.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 22. Januar 2017