Armut

Am Schluss gewinnt immer die Bürokratie

Nach einem Aufstand der Mitarbeiter wurde der Chefökonom der Weltbank diese Woche entmachtet. Paul Romer, erst acht Monate im Amt, bleibt zwar (noch) Chefökonom, aber er muss die Leitung der Abteilung für Entwicklungsökonomik abgeben, die die Armutsbekämpfung erforscht.

Weltbankpräsident Jim Yong Kim hatte mit der Berufung des angesehenen Romer Hoffnung auf eine Erneuerung der verknöcherten Organisation geweckt. Romer hatte seine Ökonomen aufgefordert, klarer und verständlicher zu schreiben, um den Lesern Zeit und Mühe zu sparen und mit ihren Studien mehr Wirkung zu erzielen. Er wies Arbeiten zurück, die keine klare Aussage enthielten, kritisierte die Arroganz der Forscher und schaffte nicht mehr benötigte Stellen ab. (Hier sein eigener Blog und hier sein Weltbank-Blog)

Wer regelmässig Weltbank­berichte liest, muss ihm ­dankbar sein. Eine Studie von Sprachforschern ergab, dass die Ökonomen des Instituts in ihren Arbeiten eine eigene Sprache ent­wickelt haben: «Bankspeak». Es wimmelt darin von Programmen, Strategien und anderen abstrakten Begriffen. Auffällig ist der extrem häufige Gebrauch des Wörtchens «und». Es ist das häufigste Wort in Weltbank-Texten, noch vor «the», das in englischen Texten klar an der Spitze steht. Die Autoren zählen damit möglichst vieles auf, was nicht zusammengehört, aber klug klingen soll. Romer kritisiert, die Autoren versuchten auf diese Weise, es allen recht zu machen und die Widerlegbarkeit ihrer Aussagen zu erschweren.

Er war zur Weltbank gegangen, weil er glaubte, dort mit Forschung mehr Wirkung erzielen zu können als anderswo. Das war ein Irrtum. Eine grosse Bürokratie hat andere Prioritäten: ja niemanden verärgern und nie so deutlich werden, dass sich jemand beschweren könnte.

Am Schluss gewinnt immer die Bürokratie. William Easterly, ein anderer bekannter Entwicklungsökonom und früherer Weltbank-Forscher, hat schon vor 14 Jahren festgehalten: «Die Weltbank ermutigt Störenfriede wie mich, sich einen anderen Job zu suchen.»

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 28. Mai 2017

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Alle Jahre wieder: Humbug am WEF

Schon wieder treffen sich die Reichen und Mächtigen am World Economic Forum (WEF) in Davos, um «den Zustand der Welt zu  verbessern», wie die Organisation behauptet. Und wieder nutzt der Hilfswerkverbund Oxfam die Bühne für seinen Werbeauftritt. Um die öffentliche Aufmerksamkeit wach zu halten, steigert Oxfam Jahr für Jahr die Dramatik.  2014 rechnete sie vor, die 85 Reichsten der Welt besässen so viel Vermögen wie die Hälfte der Menschheit zusammen. 2015 waren es demnach schon die 62 Reichsten und dieses Jahr sollen bereits die acht Reichsten mehr besitzen als die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung.

Für ihren Vergleich mixt Oxfam den «Global Wealth Report» der Credit Suisse mit der Milliardärsliste von «Forbes». Die acht Superreichen besitzen zusammen Vermögenswerte von schätzungsweise 426 Milliarden Franken, zumeist in Form von Aktien ihrer Unternehmen. Das sind 0,17 Prozent des geschätzten Weltvermögens. Die Credit Suisse (CS) arbeitet mit Nettovermögen, also Ersparnissen abzüglich Schulden. Das ergibt für die Bank Sinn, da sie an der Verwaltung der Finanzvermögen interessiert ist. Aus dem Addieren von Schulden und Vermögen kann die CS Rückschlüsse auf ihr Marktpotenzial ziehen, aber es lassen sich keine sinnvollen Aussagen über Armut ableiten.

Die Methode führt stattdessen zu unsinnigen Aussagen: So sind  von den ärmsten zehn Prozent der Welt 13,7 Prozent Europäer, aber nur 12,6 Prozent Chinesen und nur 9,3 Prozent Lateinamerikaner. Zu den Allerärmsten dieser Welt gehören nach dieser Unstatistik mehr Deutsche als Türken, Kongolesen, Ägypter oder Philippinos.

Zu den Ärmsten dieser Welt gehören nach dieser absurden Logik der Schweizer, der nichts auf dem Konto hat und sein Auto auf Kredit kauft, genauso wie der amerikanische Investmentbanker, der mit einem 100’000-Dollar-Vertrag von Harvard abgeht und sein Studiendarlehen noch nicht abgezahlt hat. Nicht zu den Ärmsten zählt dagegen der syrische Flüchtling, der mit ein paar Tausend Dollar nach Europa kommt.

Der «Global Wealth Report» der Credit Suisse ist auch aus einem anderen Grund nicht geeignet für Aussagen über Armut und Ungleichheit. Internationale Organisationen und Ökonomen rechnen für solche Vergleiche mit Kaufkraftparitäten, um die unterschiedliche Kaufkraft im jeweiligen Land zu berücksichtigen. Die Credit Suisse rechnet dagegen die Währungen einfach zu den aktuellen Kursen in Dollar um. Das genügt für eine Bank, die an den Finanzvermögen von Anlegern interessiert ist, aber sicher nicht für Vergleiche, wie sie Oxfam anstellt. Die Aufwertung des Dollar hat die Vermögen in den USA auf- und jene in den ärmeren Ländern abgewertet. Über die Entwicklung der Ungleichheit sagt das nichts aus.

Man könnte über den Humbug hinwegsehen, wenn es nicht um so etwas Wichtiges wie die Bekämpfung der Armut ginge. Auf einer unbrauchbaren Datengrundlage lässt sich keine gute Politik aufbauen. Armut nimmt seit 30 Jahren weltweit stark ab, genau so wie die globale Ungleichheit. Zu verdanken ist das der zunehmenden Verbreitung von Freiheitsrechten und dem Zugang zu Märkten, die Wachstum möglich machten. Was Oxfam politisch bekämpft, befreite Millionen aus bitterer Armut. Die Propaganda hilft wohl ihrer Spendenkasse, aber nicht den Armen dieser Welt.

Zum Glück hängt die Verbesserung der Welt nicht von den grossen Sprüchen am WEF ab, sondern von Menschen, die ihre Freiheit nutzen.

Seriöse Daten über den Zustand der Welt und die bisher erzielten Fortschritte finden Sie übrigens in Online-Datenbanken wie Gapminder oder Ourworldindata.

Good News, die kaum jemand kennt

Nach der Wahl von Donald Trump, nach dem Brexit-Entscheid und dem Aufschwung von
Populisten aller Schattierungen in Deutschland, Frankreich und anderen europäischen Staaten scheint es immerhin ein Thema zu geben, in dem sich Linke und Rechte weitgehend einig sind: Globalisierung verursacht Armut.

Weltweit ist die ganz grosse Mehrheit der Bevölkerung der Überzeugung, die Armut habe seit 1990 zugenommen, wie eine Umfrage unter 56 000 Personen in 24 Ländern zeigt. 70 Prozent der Befragten glauben, der Anteil der Menschen in extremer Armut habe um 25 Prozent oder mehr zugenommen. Weitere 8 Prozent glauben, der Anteil sei unverändert geblieben.

Die Realität ist eine ganz andere. Der Anteil der Armen hat sich in den letzten 25 Jahren um mehr als die Hälfte reduziert, von rund 1,9 Milliarden 1990 auf 836 Millionen – und zwar in allen Teilen der Welt und obwohl die Weltbevölkerung in dieser Zeit um fast 2 Milliarden gewachsen ist (Weltbank).

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Entwicklung der Armut weltweit und nach Regionen (Quelle: Weltbank, Poverty and Shared Prosperity 2016)

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Rückgang der Armut, absolut und relativ (Quelle: Weltbank, Poverty and Shared Prosperity 2016)

 

Die Resultate bestätigen, was der schwedische Forscher Hans Rosling vor drei Jahren aus Untersuchungen in England und Schweden gefolgert hatte: Die Leute haben keinen blassen Schimmer von der Dynamik dieser Entwicklung. Die Ahnungslosigkeit ist in Deutschland und den USA besonders gross: Nur 8 Prozent wissen, dass die Armut abgenommen hat. (Schweizer wurden leider nicht befragt, aber testen Sie sich hier selbst.

Da überrascht auch nicht, dass nur einer von acht Befragten glaubt, dass Armut und Hunger bis 2030 besiegt werden können, wie dies die UNO anstrebt. Die Erfahrungen der letzten zwei, drei Jahrzehnte zeigen jedoch, dass das Ziel erreichbar ist. Wir sollten auf die Optimisten hören. Ignoranz und Pessimismus behindern den Kampf gegen die Armut.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 13. November 2016

Humbug mit Zahlen

24.1.2016 / Armin Müller

Alle Jahre wieder treffen sich im Januar die Reichen und Mächtigen in Davos, um «den Zustand der Welt zu verbessern». Alle Jahre wieder nutzt die Entwicklungsorganisation Oxfam das World Economic Forum für ihre Spendenwerbung. Und alle Jahre wieder macht ihr Zahlen-Humbug weltweit Schlagzeilen. Die 62 reichsten Personen der Welt besässen so viel Vermögen wie die Hälfte der Menschheit zusammen, behauptet Oxfam. Tatsächlich kommen die 62 aber nur auf 0,7 Prozent des Weltvermögens. Das bringt jedoch keine Schlagzeile.

Dazu braucht es einen Trick. Für ihren Vergleich mixt Oxfam das «Global Wealth Databook» der Credit Suisse mit der Milliardärsliste von «Forbes». Die Credit Suisse arbeitet mit Nettovermögen, also Ersparnissen abzüglich Schulden. Das ergibt für die Bank Sinn, da sie an der Verwaltung der Finanzvermögen interessiert ist. In der Armutsdiskussion führt die Methode jedoch zu grobem Unfug. So sollen von den ärmsten 10 Prozent der Welt 17 Prozent Europäer und 10 Prozent Amerikaner sein, aber nur 0,06 Prozent Chinesen.

Zu den Allerärmsten gehören nach dieser Unstatistik mehr Deutsche als Pakistaner oder Bangladesher. Der Investmentbanker, der mit einem 100 000-Dollar-Vertrag von Harvard abgeht, zählt wegen seines Studiendarlehens zu den Ärmsten der Welt, nicht so der syrische Flüchtling, der mit 1000 Dollar nach Europa kommt.

Armut nimmt seit 30 Jahren weltweit stark ab. Zu verdanken ist das der Ausbreitung der Marktwirtschaft und Eigentumsrechten, die Wachstum möglich machten. Was Oxfam politisch bekämpft, befreite Millionen aus bitterster Armut. Ihre Rezepte bieten dagegen Gewähr, dass die Armen auch weiterhin arm bleiben. Die Propaganda hilft ihrer Spendenkasse, aber nicht den Armen dieser Welt.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 24. Januar 2016