Monat: Februar 2016

Die PS-Bauern

8.2.2016 / Armin Müller

«Schuldenberg, Preisdruck, Frau weg – Bauern sehen keinen Ausweg mehr», analysierte der «Blick». Gleich zweimal marschierten die Bauern im letzten Herbst auf den Berner Bundesplatz und forderten mehr Subventionen und Grenzschutz. Eine Volksinitiative für Ernährungssicherheit hat der Bauernverband lanciert, eine gegen neue Freihandelsverträge ist in Vorbereitung.

Jammern hilft. Und wer am lautesten jammert, dem wird am meisten geholfen. Nicht ganz dazu passen die Zahlen, die das Bundesamt für Statistik am Donnerstag veröffentlicht hat. Letztes Jahr setzten die Bauern 3046 Traktoren neu in Verkehr, 15 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Bauernvertreter reden vom Bauernsterben, aber der Traktorbestand wächst Jahr für Jahr. Die Schweizer Landwirtschaft ist nicht nur mit Subventionen auf Weltrekordkurs. Mittlerweile kommt auf fast jeden Beschäftigten in der Landwirtschaft ein Traktor. Im Schnitt stehen auf jedem Bauernhof schon 2,3 Zugmaschinen. Ein Traktor auf 7,6 Hektaren – kein anderes Land Bauern ihre Maschinen gemeinsam nutzen. Aber das Wirtschaften mit zu vielen und überdimensionierten Anlagen lohnt sich. In bringt pro Hektare so viele PS auf den Boden wie die Schweiz.

Und die PS-Monster werden immer grösser. Wog ein durchschnittlicher Traktor vor zehn Jahren noch 3,7 Tonnen, sind es heute schon über 4,5 Tonnen. Dafür sind sie nur halb so gut ausgelastet wie jene in Baden-Württemberg, weil die deutschen guten Jahren senken die Bauern mit den Investitionen das Betriebsergebnis, damit die Subventionen weiter fliessen. Das ist das Schweizer Agrarwunder: Die Betriebe werden immer leistungsfähiger – nur die Kosten sinken nie. Und so wird weiter gejammert. An der nächsten Demo wenigstens mit einem neuen Traktor.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 7. Februar 2016

Einen Gang runterschalten

8.2.2016 / Armin Müller

Die Technik wird den Menschen unterstützen, nicht überflüssig machen – ein Kommentar zum selbstfahrenden Auto

Das selbstfahrende Auto wird nie müde, trinkt keinen Alkohol, fährt nicht bei Rot über die Kreuzung und lässt sich nicht vom Beifahrer ablenken. Über 90 Prozent der Verkehrsunfälle gehen auf menschliches Versagen zurück. Jedes Jahr sterben auf den Strassen der Welt mehr als 1,2 Millionen Menschen. Das selbstfahrende Auto soll diese Zahl dramatisch senken.

Google, Autohersteller und andere Technologieunternehmen treiben Forschung und Entwicklung im Eiltempo voran. Die Schweizer Post testet in Sitten zwei Minibusse, die in der Innenstadt Passagiere transportieren sollen. Voll automatisierte Autos könnten schon in zehn Jahren strassentauglich sein. Singapur oder chinesische Städte könnten die Pioniere sein, die ein System mit selbstfahrenden Autos als erste realisieren.

Bis es so weit ist, muss das autonome Auto allerdings noch einige Schikanen umfahren. Und die Gesellschaft muss noch einige schwierige Fragen beantworten, die bisher noch kaum gestellt, geschweige denn debattiert wurden. Denn gänzlich unfallfrei wird selbst das Google-Auto nie fahren. Auch wenn mit dem sich selbst überschätzenden Menschen der grösste Risikofaktor eliminiert werden sollte, wird es auf den Strassen hie und da zum Crash kommen. Wie die bisherigen Tests zeigen, ist der Roboter zwar im Regelfall, aber nicht in jeder Situation der bessere Fahrer.

Soll das Auto dem Kindergärtler ausweichen oder dem Rentnerpaar?

Mit der Software im Fahrzeug sind auch ethische Dilemmas programmiert. Soll das Auto, wenn der Unfall trotz Vollbremsung nicht mehr zu vermeiden ist, den Fussgänger überfahren oder gegen den entgegenkommenden Lastwagen steuern und damit die Insassen umbringen? Soll es dem Kindergärtler ausweichen oder dem Rentnerpaar?

Und wer entscheidet, wie der entsprechende Algorithmus programmiert wird? Der Autohersteller, der Fahrer, ein Ethikrat, das Strassenverkehrsamt, die Haftpflichtversicherung? Das sind Fragen, die wir diskutieren müssten, bevor die Google-Autos in Massen auf die Strassen losgelassen werden.

Die Angst, dass Roboter uns das Steuer aus der Hand nehmen und überflüssig machen, ist weit verbreitet. Die Pessimisten und Mahner vor den negativen Folgen des Fortschritts finden leicht Gehör in einer verunsicherten Welt. Aber die Geschichte hat sie regelmässig widerlegt.

Computer und Automatisierung haben den Menschen nicht aus dem Cockpit verdrängt

Der Mensch wird nicht einfach überflüssig. In der Luft- und Raumfahrt oder in der Unterwasser-Erforschung wurden aus Sicherheitsgründen immer wieder menschenfreie, vollautomatisierte Systeme propagiert – aber nie wirklich realisiert, wie der MIT-Professor David Mindell in seinem neuen Buch zeigt.

Computer und Automatisierung haben den Menschen nicht aus dem Cockpit verdrängt oder vom Fahrersitz gestossen, sondern sie haben ihm sehr viel mehr Kontrolle verschafft. Diese Mensch-Maschine-Kombination hat die Sicherheit etwa in der Luftfahrt dramatisch erhöht.

Die Technik wird Autos in Zukunft sehr viel sicherer und die Aufgabe des Fahrers sehr viel einfacher machen. Aber nicht mit dem autonomen Roboter, sondern mit zuverlässigen, transparenten, sicheren Systemen, mit denen der Mensch interagiert und so seine Bewegungen besser steuern kann. Die «schöne neue Welt» des Google-Autos ist nicht die Zukunft.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 7. Februar 2016