Monat: März 2017

Wenn der Staat manipulative Preise verbietet

Ovomaltine für 6.59 Franken, Stocki für 4.99 – zum 50-Jahr-Jubiläum macht der Discounter Denner bei bestimmten Markenprodukten seit kurzem wieder Rappenpreise, vorzugsweise ­natürlich mit einer 9 am Schluss. Die deutschen Discounter Aldi und Lidl hatten die bekannten 99-Rappen-Preise für ihren ­Markteinstieg in der Schweiz aus Deutschland mitgebracht. Weil der Einräppler 2007 ausser Kurs gesetzt wurde, runden sie an der Kasse einfach auf den nächsten Fünfer ab.

Die Händler nutzen damit einen psychologischen Trick. Denn wir Konsumenten kaufen bekanntlich nicht ganz rational. Wir lassen uns leicht von der 9 blenden und runden Rappen automatisch auf den Franken ab. Diese mensch­liche Schwäche sollten Händler nicht mehr länger ausnützen ­dürfen, befand die israelische ­Regierung. Sie verbot kurzerhand per Gesetz die «manipulativen», auf 9 endenden Preise. Bis dahin hatten diese in den Supermärkten dominiert. Rund drei Viertel aller Preise hatten eine 9 am Schluss, obwohl sowohl das 1- wie auch das 5-Schekel-Stück längst ­abgeschafft waren. An der Kasse wurden die Preise auf den ­nächsten Zehner abgerundet. Seit Januar 2014 müssen alle Preise auf null enden.

Ein Team von israelischen und amerikanischen Forschern untersuchte, was danach ­geschah (PDF). Der Anteil der auf 90 endenden Preise stieg innert ­weniger Monate von 6 auf 55  Prozent. In der Schweiz ist das nicht anders. Im Onlinemarkt Le Shop zum Beispiel enden 73 Prozent der Waschmittelpreise auf 90 oder 95 Rappen. In anderen Produktkategorien sieht das Bild ähnlich aus.

Die 90er-Endungen haben die Funktion der 9er-Endungen übernommen – und sie funktionieren nach dem gleichen ­psychologischen Trick. Sie ziehen uns magisch an, indem sie tiefe Preise signalisieren. Sie verleiten uns zu Fehlern bei Vergleichen und lassen uns Preiserhöhungen leichter übersehen. Das mag Konsumentenschützer nerven. Aber das Beispiel aus Israel zeigt, wie leicht eine gutgemeinte ­Regulierung ins Leere läuft.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 19.3.2017

 

Was für einMurks! Das können wir doch besser

Es war kein grosser Wurf, den Alain Berset im November 2014 als Reform der Altersvorsorge präsentierte. Aber was das Parlament nun daraus gemacht hat, bleibt noch hinter dem Bundesratsvorschlag zurück. Man kann es nur als Murks bezeichnen.

Das Ziel der Reform war die Sanierung der AHV, die Stabilisierung der beruflichen Vorsorge und die Erhaltung des Rentenniveaus. Stattdessen wird nun die AHV ausgebaut, die Kosten werden auf künftige Generationen abgeschoben. Neu gibt es zwei Klassen von Rentnern. Wer nach der Reform pensioniert wird, erhält 70 Franken pro Monat mehr. Die heutigen Rentner kriegen: nichts. Wäre es wirklich um die soziale Frage gegangen, hätte man besser die Minimalrenten erhöht.

Die Babyboomer, die in Politik und Wirtschaft an den Schalthebeln sitzen, nie eine grosse Krise erlebt haben und für weniger Kinder sorgen mussten als ihre Elterngeneration, haben sich den Besitzstand gesichert. Nach uns die Sintflut.

Das ist keine Reform, es ist ein Hinausschieben des Problems. «Besser als nichts» ist das überzeugendste Argument für die Vorlage. Vielleicht genügt es, um die Volksabstimmung zu gewinnen.

Aber wir sollten uns nicht damit zufrieden geben. Die Schweiz hat es in den vergangenen Jahrzehnten geschafft, auch grosse Probleme zu lösen. Manchmal brauchte es etwas länger, aber unser demokratisches System zeichnete sich durch eine hohe Reformfähigkeit aus. Sie scheint heute gefährdet. Bei den für die Zukunft des Landes zentralen Themen Altersvorsorge, Unternehmenssteuern, Gesundheitswesen oder Energie droht der Stillstand.

Unser dreisäuliges Altersvorsorgesystem, um das uns das Ausland beneidet, lässt sich nur für weitere Generationen bewahren, wenn wir nicht weiter so tun, als ob wir die Kapitalmarktrenditen per Gesetz festlegen könnten und wenn wir das Rentenalter an die steigende Lebenserwartung anpassen. Ist es tatsächlich unzumutbar, für jeden Monat mehr Lebenserwartung das Rentenalter um einen Monat hinauszuschieben? Schweden, Dänemark oder die Niederlande – durchaus Gesellschaften mit hohem sozialen Anspruch – haben es geschafft, das Rentenalter in kleinen Schritten zu erhöhen und an die steigende Lebenserwartung zu koppeln.

Es gibt keinen Grund, warum wir das nicht auch schaffen sollten. Nach der Reform ist vor der Reform.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 19.3. 2017

Die AHV ist zu alt geworden

Mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung kommt ein Schweizer heute auf gut 700 000 Lebensstunden. Davon arbeitet er effektiv etwa 40 Jahre à 1700 Stunden. Das ergibt also etwa 70 000 Stunden – rund 10 Prozent der Lebenszeit. Mit so wenig effektiver Arbeitszeit finanziert er alles, was er braucht, auch die Rente für die mittlerweile mehr als 20 Jahre als Pensionär.

Das sei eine «riesige Errungenschaft», meinte Maurice Pedergnana, Wirtschaftsprofessor in Luzern, an einer Podiumsdiskussion des «Schweizer Monats». Man solle doch bitte nicht über die Beitragslast jammern. Tatsächlich hätten sich unsere Vorfahren nie träumen lassen, dass man jemals mit so wenig Arbeitsaufwand so viel Freizeit würde finanzieren können.

In der Auseinandersetzung um die Altersvorsorge 2020 interessieren solche Rechnungen nicht. Jammern und Klagen scheint so ziemlich das Einzige zu sein, worin die verschiedenen Parteien übereinstimmen. Das Ziel der Reform war die Wahrung des Rentenniveaus und die finanzielle Sicherung der 1. und 2. Säule bis 2030.

Weil wir zum Glück immer älter werden, weil die geburtenstarken Jahrgänge ins Pensionsalter kommen und weil die Finanzmärkte als dritter Beitragszahler seit Jahren nur noch spärlich Rendite liefern, wird die Rechnung immer teurer. Seit Einführung der AHV wächst die durchschnittliche Lebenserwartung jedes Jahr um rund 100 Tage, aber eine Diskussion über eine allmähliche Anpassung des Rentenalters scheint nach wie vor unmöglich.

Weder der Vorschlag des Ständerats noch jener des Nationalrats stellt die Altersvorsorge auf eine sichere Basis. Nach der aktuellen Gesetzeslage werden alle heute lebenden Jahrgänge in ihrem restlichen Lebensverlauf mehr Leistungen von der AHV beziehen als einzahlen. Die jetzt diskutierten Reformvorschläge ändern daran nur wenig: Alle ab 25 werden über ihre Lebenszeit hinweg mehr Leistungen beziehen, als sie einzahlen. Die Reform bringt also höchstens Stückwerk, ein Ausbessern der gröbsten Schäden. Und letztlich geht es vor allem darum, wer schliesslich die Rechnung zahlt.

Die heutigen Rentner haben zwar oft Angst vor Rentenkürzungen, aber sie sind die einzigen, die auf der sicheren Seite stehen. Ihre Renten werden nicht angetastet. Die Babyboomer der Jahrgänge 1955 bis 1964 (zu denen ich auch gehöre) sitzen in Politik und Wirtschaft an den Schalthebeln und sind ein Machtfaktor an der Urne. Sie werden weitgehend geschont.

Die Hauptlast tragen folglich die Jungen. Sie interessieren sich noch kaum für die Altersvorsorge und haben politisch wenig Gewicht. Gar keine Lobby haben die noch ungeborenen Generationen. Da fällt es noch leichter, ungedeckte Checks auszustellen.

Die Politiker reden zwar viel von Nachhaltigkeit. In der Altersvorsorge halten sie sich aber lieber an das bewährte Prinzip «Nach uns die Sintflut».

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 5. März 2017

Ein Werkzeug gegen Ignoranz in Finanzfragen

Selbst im Land des Geldes und der Banken ist das Finanzwissen löchrig wie ein Emmentaler Käse. Nur die Hälfte der Befragten konnte drei sehr einfache Fragen zu Zinsen, Inflation und Risikodiversifikation richtig beantworten, wie eine Untersuchung der Uni St. Gallen ergab. In einem anderen Test des Finanzwissens belegte die Schweiz unter 144 Ländern den 15. Rang. Nur 57 Prozent beantworteten fünf einfache Fragen richtig. Trotz Informationskampagnen gegen Jugendverschuldung wissen die Jungen nicht besser Bescheid, wie eine dritte Studie unter Berufsschülern zeigt. Weniger als ein Drittel der Befragten versteht zum Beispiel das Konzept des Zinseszinses.

Geld ist nicht alles. Aber der ungeschickte Umgang damit führt viele ins Unglück. Wem Grundkenntnisse über Sparen, Kredit oder Geldanlage fehlen, der hat es schwer im Leben. In unserer sich rasch verändernden Welt ist finanzielle Ignoranz gefährlich. Von den Schulen ist wenig zu erwarten. Die Schweiz macht beim Pisa-Test zum Finanzwissen erst gar nicht mit (hier der Beschluss der Erziehungsdirektorenkonferenz, PDF). Mit dem neuen Lehrplan 21 wird es sicher nicht besser. Die Verbreitung von Finanzwissen wäre eigentlich eine Bringschuld der Finanzindustrie. Aber auch da tut sich wenig.

In die grosse Lücke stösst das Internet-Start-up Fintool.ch, ein videobasiertes Lernportal für Finanz-, Anlage- und Wirtschaftsfragen für Jedermann. Der Basler Finanzmarktprofessor Erwin Heri und seine Kollegen produzieren zweimal pro Woche ein drei- bis fünfminütiges Kurzvideo. Sie beantworten darin die wichtigsten Finanzfragen und erklären den richtigen Umgang mit Geld. Rund 250 Videos sind es mittlerweile – lehrreich, verständlich, unabhängig von der Finanzindustrie und erst noch gratis. Eine Smartphone-App gibt es auch.

Im neuesten Video «Raucher oder Millionär» fragt Heri, wie schnell man Millionär wird, wenn man das Geld in einen Aktienfonds steckt, statt ein Paket Zigaretten pro Tag zu rauchen. Und zeigt so auf einleuchtende und witzige Weise die Macht des Zinseszins-Effekts.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Sonntagszeitung vom 5. März 2017