Monat: März 2018

Finnland, die Türkei und das Mint-Paradox

Frauen sind in den sogenannten Mint-Fächern stark untervertreten. In Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik machen sie in der Schweiz nur 30 Prozent der Studierenden aus, in den anderen Fächern 58 Prozent. Weil Mint-Fächer gute Voraussetzungen für die Karriere bieten, will die Politik den Frauenanteil steigern.

Nun zeigt eine Studie mit Daten aus 67 Ländern ein interessantes Paradox: Länder mit hoher Geschlechtergerechtigkeit haben weniger Frauen in Mint-Fächern. So fördern die sehr gleichberechtigten Finnland und Norwegen seit Jahrzehnten eine genderneutrale Erziehung. Aber mit rund 20 Prozent Frauen in den Mint-Fächern liegen sie weit zurück. Der Frauenanteil ist dagegen höher, wo es um die Gleichberechtigung schlecht steht. In Algerien, Tunesien oder der Türkei werden Frauen am stärksten benachteiligt. Aber ihr Anteil in den Mint-Fächern beträgt um die 40 Prozent.

Mehr Gleichberechtigung führt paradoxerweise zu weniger Frauen in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Einen wesentlichen Teil der Unterschiede erklären die Forscher durch die grössere Wahlfreiheit der Frauen. Buben sind schulisch im Durchschnitt schwächer. Sie wählen Mint-Fächer, weil ihr Nachteil dort vergleichsweise am geringsten ist. Den überlegenen Mädchen stehen dagegen alle Fächer offen. In den gleichberechtigten und wohlhabenden Gesellschaften wählen sie die Studienrichtung nach persönlichen Vorlieben und Interessen. Wo sie benachteiligt sind, wählen sie Studienrichtungen, die ihnen sichere und gut bezahlte Jobs bringen – das sind oft Mint-Fächer.

Ihr geringer Anteil hängt damit zusammen, dass Frauen in gleichberechtigten Gesellschaften persönliche Interessen höher gewichten können als Lohn- und Karriereperspektiven. Das Mint-Paradox legt den Schluss nahe, dass eine gleiche Geschlechterverteilung in Studienfächern und Berufen in einer freien Gesellschaft nicht nur schwer zu erreichen ist. Es ist wohl auch das falsche Ziel.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 25. März 2018

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Moralischer Appell lässt Steuern sprudeln

«Pöstler bringen Freude», behauptet die Post. Schön wärs. Alle Jahre wieder findet man im Briefkasten ein dickes Couvert mit hohem Wiedererkennungswert, das einem mit Sicherheit die Laune verdirbt: die Steuererklärung. In der Schweiz enthält der Brief der Steuerverwaltung meist nur trockene Informationen und Anweisungen. In Norwegen, das wie die Schweiz auf Selbstdeklaration setzt, haben Verhaltensökonomen in einem Experiment untersucht, wie sich ein Begleitbrief auf die Steuerehrlichkeit auswirkt.

Die Steuerbehörde verschickte unterschiedlich formulierte Briefe an 15 000 Steuerpflichtige, die verdächtigt wurden, ausländische Einkommen nicht korrekt deklariert zu haben. Der Standardbrief wies auf die Bedeutung ausländischer Einkommen hin und legte dar, wie diese zu deklarieren seien. Zwei Briefe enthielten moralische Appelle: Sie zeigten den gesellschaftlichen Nutzen der Besteuerung auf. Oder sie betonten, die meisten Norweger würden ihre inländischen Einkommen korrekt versteuern – es sei deshalb ein Gebot der Fairness, auch ausländische Einkünfte zu deklarieren. Ein weiterer Brief tönte an, dass die Steuerbehörde über Informationen zu ausländischen Einkommen oder Vermögen verfügen könnte. Eine Kontrollgruppe erhielt kein besonders Schreiben.

Wie wirkten sich die unterschiedlichen Vorgehensweisen auf die Steuermoral aus?

Moral ist ein starkes Argument, stellten die Forscher fest. Ein paar Worte in einem nüchternen Schreiben der Steuerbehörde beeinflussen die Steuerehrlichkeit messbar. Schon die Empfänger des Standardbriefes deklarierten mehr Auslandseinkommen als die Kontrollgruppe. Die Empfänger eines moralischen Appells hingegen deklarierten fast doppelt so viel Geld wie die Empfänger des Standardbriefes. Und der Hinweis auf eine mögliche Entdeckung führte zu einem starken Anstieg des Anteils der Steuerzahler, die Auslandseinkommen deklarierten.

Die Schweiz könnte von Norwegen lernen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 18. März 2018

Trump bestraft Amerikas Konsumenten

US-Präsident Donald Trump verhängt Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte. «Wenn ein Land viele Milliarden Dollar im Handel mit praktisch jedem Land verliert, mit dem es Geschäfte macht, sind Handelskriege gut – und einfach zu gewinnen», twitterte er am Freitag.

trump

Das ist ein Trugschluss. Erstens ist Handel kein Nullsummenspiel, bei dem einer gewinnt, was der andere verliert. Handel kommt zustande, weil beide Seiten davon profitieren. Ökonomen sind sich selten so einig wie in dieser Frage. Zweitens sind Handelskriege nie gut. Sie verteuern die Produkte, die Konsumenten und Produzenten kaufen. Drittens sind Handelskriege kaum zu gewinnen. Die von den neuen Zöllen betroffenen Länder reagieren mit gezielten Gegenmassnahmen. Beide Seiten verlieren, wie die historische Erfahrung zeigt.

Trump zielt auf China, trifft aber die amerikanischen Konsumenten. Seine Zölle wirken wie eine Steuer, die von der Bierdose über den Kühlschrank bis zum Auto unzählige Produkte verteuert. Was den Arbeitern in der Stahlindustrie helfen soll, schadet der metallverarbeitenden Industrie mit etwa zehnmal so vielen Jobs. Und wenn die Amerikaner mehr für Produkte aus Stahl und Alu ausgeben müssen, haben sie weniger Geld für Güter anderer Branchen zur Verfügung – was dort wiederum Jobs kosten wird.

Diese bittere Erfahrung machten die USA schon mehrfach. 2002 verhängte George W. Bush 30 Prozent Zoll auf chinesischen Stahl. In der Folge verloren wegen der höheren Kosten in der verarbeitenden Industrie mehr Arbeiter ihren Job, als in der gesamten Stahlindustrie beschäftigt waren (hier die Studie als PDF). In den 1980er-Jahren kosteten Zölle die amerikanischen Konsumenten eine Million Dollar für jeden geretteten Stahlarbeiter-Job. Der Schutz von nicht wettbewerbsfähigen Branchen senkt die Arbeitsproduktivität des Landes – und damit das Lohnniveau.

Einfach zu gewinnen ist ein Handelskrieg nur gegen die eigene Bevölkerung.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 4. März 2018