Beim Rahmenabkommen gibt es keinen gemeinsamen Nenner für einen Kompromiss, aber auch keine Mehrheit für die eine oder andere Lösung.
Der Bundesrat hat am Freitag den Vertragstext zum Rahmenabkommen mit der EU veröffentlicht, über den die Schweiz nun seit Jahren streitet. Die Regierung konnte sich nicht auf eine klare Aussage einigen, wollte dem Rahmenabkommen weder zustimmen noch es ablehnen. Deshalb spielt sie weiter auf Zeit. Verständlich, dass ihr von allen Seiten mangelnde Führungskraft vorgeworfen wird. «Man müsste halt regieren wollen», kommentierten der Zürcher «Tages-Anzeiger» und der Berner «Bund». «Eine Vision und mehr Leadership», forderte die NZZ. «Jetzt geht es nur noch mit Führungsstärke», hiess es bei der «Schweiz am Wochenende».
In diesem Fall war es vielleicht eine «Mission impossible». Worauf kann sich Führungsstärke gründen, wenn die stärksten Parteien in der Konkordanzregierung diametral entgegengesetzte Positionen vertreten? Die SVP will auf keinen Fall ein Abkommen mit der EU. Die SP will der EU beitreten, aber keinerlei Kompromiss mit ihr akzeptieren. Es gibt keinen gemeinsamen Nenner für einen Kompromiss, aber auch keine Mehrheit für die eine oder andere Lösung. Wir stecken in der Blockade fest.
Die Interessen gehen immer stärker auseinander, was an Gemeinsamem noch bleibt, genügt nicht mehr für eine Einigung. Das ist kein schweizerisches Phänomen. In den USA ist die Polarisierung schon viel weiter fortgeschritten. In Grossbritannien entzweit der Streit um den Brexit die Nation. Selbst in Frankreich, wo der Präsident eine weit grössere Machtfülle geniesst als unser Bundesrat, hat sich die ganze Führungsstärke des Emmanuel Macron als wirkungslos entpuppt. Die Ankündigung, die Steuer für Dieseltreibstoff um knapp vier Prozent zu erhöhen, hat eine Revolution ausgelöst. Sobald den Bürgern die Kosten für die Energiewende präsentiert werden, ist es vorbei mit der Einigkeit im Kampf gegen den Klimawandel.
Das Verhältnis zur EU, die Migrationsfrage und die Klimapolitik sind die entscheidenden Themen der Zeit. Sie drohen alle in der totalen Blockade zu enden. Früher konnte man solche lösen, weil es dank starkem Wachstum allen immer besser ging, weil genug Geld vorhanden war, um die Verlierer zu entschädigen.
Der US-Ökonom Tyler Cowen empfiehlt in seinem neuesten Buch «Stubborn Attachments – Eine Vision für eine Gesellschaft von freien, wohlhabenden und verantwortungsbewussten Menschen» die Konzentration aller Kräfte auf das Ziel, nachhaltiges Wachstum zu maximieren. Um das Wohlergehen der Menschen und dasjenige späterer Generationen zu fördern, gibt es kein besseres Mittel. In der zunehmend polarisierten politischen Landschaft hat seine Botschaft keine Chance. Aber das macht sie nicht weniger dringlich.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 9. Dezember 2018