Funktionierende Institutionen sind ein entscheidender Faktor für den Wohlstand in Europa. Das haben wir zu einem guten Teil den Päpsten zu verdanken. Ab dem 6. Jahrhundert begannen sie, die Regeln gegen Heiraten unter Verwandten zu verschärfen, weit über das hinaus, was die Bibel verbietet. Im 11.Jahrhundert dehnten sie das Eheverbot bis auf Cousins sechsten Grades aus und setzten es rigoros durch. 1215 schränkten sie das Verbot auf Cousins dritten Grades ein. In Regionen, die nicht von der katholischen Kirche beherrscht waren, blieben Verwandtenheiraten dagegen weit verbreitet.
Das Verbot hatte ungeahnte Auswirkungen auf die Entwicklung Europas, wie Jonathan F. Schulz, Forscher an der Universität Harvard, in einer neuen Untersuchung zeigt. Das Eheverbot für Cousins zerstörte die bestehenden Clan-basierten Verwandtennetzwerke. Diese erschweren den Austausch mit Aussenstehenden; sie verhindern, dass sich Vertrauen und Zusammenarbeit über die Grenzen der Familie hinaus ausbreiten, sie fördern Vetternwirtschaft. Die Heiratsregeln der Kirche zwangen die Menschen, ihre Braut- und Bräutigamsuche stark auszudehnen und Beziehungen mit Fremden einzugehen. Das förderte den sozialen Zusammenhalt, betonte die individuellen Rechte und erleichterte die Bildung von Gemeinden, einer Zivilgesellschaft und schliesslich demokratischer Nationalstaaten.
Die Päpste hatten nicht nur selbstlose Gründe. Die Schwächung der adligen Grossfamilien erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Linien aussterben und das Erbe an die Kirche fällt. Habgier ist eine Todsünde. Welch Ironie, dass sie über die Zeit solch positive Folgen zeitigte.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 18. November 2018