Gottesurteile waren ziemlich clever

Erinnern Sie sich an die absurde Szene in Monty Pythons «Die Ritter der Kokosnuss», in der die Bauern mittels Gottesurteil herausfinden wollen, ob eine Frau eine Hexe ist? Das Gottesurteil erlebte seine goldene Zeit vom 9. bis 13. Jahrhundert, als mittelalterliche Richter damit schwierige Kriminalfälle entschieden. Der Angeschuldigte musste einen Stein aus einem Kessel kochend heissen Wassers holen oder ein glühendes Eisen tragen. Wies er Brandwunden auf, war er schuldig. Oder er wurde gefesselt ins Wasser gelegt; ging er unter, war er unschuldig. Gott kennt die Wahrheit und wird den Unschuldigen vor Verbrennungen bewahren oder ihn untergehen lassen.

Was für eine verrückte Idee! Heute können wir über die Dummheit und den Aberglauben der Leute im finsteren Mittelalter nur noch den Kopf schütteln. Der Ökonom Peter Leeson wollte es genauer wissen. Er untersuchte Aufzeichnungen von Gottesurteilen in England und Ungarn. Das überraschende Resultat: Die allermeisten Fälle endeten mit einem Freispruch. Wie durch ein Wunder verbrannten sich die Angeschuldigten nicht und gingen im Wasser unter. Wie war das möglich?

Da die Menschen sehr gläubig waren, konnte der Richter davon ausgehen, dass nur Unschuldige die Folter auf sich nehmen würden. Das vorgeschriebene, kirchliche Ritual verschaffte dem Priester einen grossen Spielraum, den Ausgang des Prozesses zu beeinflussen. Er konnte das Wasser oder das Eisen abkühlen lassen und die Hände erst nach ein paar Tagen begutachten. Er schickte nur dünne Männer, die er davor noch fasten liess, zum Tauchtest, aber nie Frauen. Diese haben einen höheren Körperfettanteil und gehen deshalb nicht unter.

Richter hatten nicht viele Möglichkeiten, die Schuld oder Unschuld eines Verdächtigen zu prüfen, wenn es keine Tatzeugen gab. Den Glauben auszunutzen, um unter schwierigen Umständen Gerechtigkeit herzustellen, war nicht dumm oder barbarisch, sondern ausserordentlich clever. Mit dem Glauben schwanden dann aber auch die Gottesurteile.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 12. November 2017

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