Fairness ist wichtiger als Gleichheit

Schon Kinder zeigen eine Abneigung gegen Ungleichheit. Wenn Dreijährige Spielzeug oder Süssigkeiten unter anderen Kindern verteilen, geben sie allen gleich viel. Sechsjährige schmeissen lieber Überzähliges weg, als dem einen mehr zu geben als dem andern. Tausende Studien bestätigen diese Ungleichheitsaversion, bei Gross und Klein, in verschiedenen Ländern und Kulturen.

Seit dem Bestseller von Thomas Piketty («Kapital im 21. Jahrhundert») ist Ungleichheit in den reichen Ländern zum Dauerthema geworden. In den Schweizer Medien hat sich die Zahl der Beiträge dazu verdoppelt. Trotzdem ist Umverteilung nicht populärer geworden. Selbst in den USA nicht, wo die Zahlen einen steilen Anstieg der Ungleichheit belegen. Zahlreiche Studien zeigen, dass Ungleichheit an sich die Menschen nicht gross zu kümmern scheint. Fragt man sie nach ihren Vorstellungen, wie Ressourcen verteilt sein sollten, ziehen sie eine ungleiche Gesellschaft vor.

Wie kann das sein, wo doch die Abneigung gegen Ungleichheit angeboren und universell sein soll? Diesen Widerspruch versuchen Forscher der Universität Yale in einer kürzlich veröffentlichten Studie zu klären. In Laborexperimenten erscheint die Gleichverteilung als fair, weil die Empfänger sich nach Bedürftigkeit oder Leistung nicht unterscheiden. In der realen Welt tun sie das aber, und deshalb erscheint eine Gleichverteilung als unfair. Die Forscher finden keine Hinweise dafür, dass die Menschen sich an wirtschaftlicher Ungleichheit an sich stören.

Was sie tatsächlich empört, ist Unfairness. Wenn Fairness und Gleichheit in Konflikt geraten, bevorzugen sie eine faire gegenüber einer gleichen Verteilung. Die politische Bewirtschaftung der Ungleichheit läuft ins Leere, weil sie nicht das bekämpft, was die Menschen wirklich stört. Sie vermag mehr Umverteilung nicht überzeugend zu begründen. Politische Durchschlagskraft haben jedoch Forderungen, die sich gegen die Verletzung von Fairnessregeln wenden. Die Debatte um exorbitante Boni wird deshalb nicht so schnell verschwinden.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 14. Mai 2017

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