Wenn Geld und Ideen auswandern

4.4.2016 / Armin Müller

Frankreich steht auf Rang 1, gefolgt von China, Italien, Indien, Griechenland und Russland: Welche Rangliste könnte solch ein Resultat liefern?

Es sind die Länder, die im letzten Jahr am meisten Millionäre verloren haben. 2015 sind rund 10 000 Millionäre mehr aus Frankreich weg- als zugezogen. China verlor per Saldo 9000 und Italien rund 6000 Millionäre. Den stärksten Netto-Zustrom verzeichneten dagegen Australien, die USA, Kanada und Israel. Das berichtet das südafrikanische Beratungsunternehmen New World Wealth. Die Firma befragt Reiche zu deren Domizil, interviewt Migrationsexperten und wertet Visa-Statistiken aus, um die internationale Migration von sehr Vermögenden nachzuverfolgen.

Frankreich führt die Rangliste seit Jahren an, sein Spitzenplatz kommt nicht von ungefähr. Dabei spielt der Spitzensteuersatz von 75 Prozent, den die sozialistische Regierung von François Hollande 2013 einführte, gar nicht mal die grösste Rolle. Es sind der Mangel an Möglichkeiten und Chancen, der wirtschaftliche Niedergang und die zunehmenden politischen oder religiösen Spannungen, welche die Leute vertreiben.

Am grössten ist die Perspektivlosigkeit bei den Jungen. Im Gegensatz zu den Reichen können sie nicht einfach wegziehen. Aber auf die Frage, ob sie Frankreich verlassen würden, wenn sie könnten, antwortete 2013 die Hälfte der 18- bis 34-Jährigen mit «Oui».

Es sind wohl nicht die Gleichen, die am Donnerstag in vielen französischen Städten auf die Strasse gingen, um gegen die geplante Arbeitsmarktreform der Regierung zu protestieren. Die Gewerkschaften bestreiken Bahnen, Flughäfen, Schulen, Universitäten, Krankenhäuser und Medienunternehmen. Von den Reformen dürfte am Schluss nicht viel übrig bleiben.

Mit den Jungen und dem Kapital gehen aber auch Ideen und Unternehmertum, die Frankreich dringend braucht. Der Auszug der Millionäre hilft den Sozialisten zwar in ihrem zentralen Kampf gegen die Ungleichheit, denn weniger Reiche bedeuten statistisch mehr Gleichheit. Nur den übrigen Franzosen geht es deswegen keinen Deut besser.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der SonntagsZeitung vom 3. April 2016

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